31. Plenarrede: Debatte zur Ausfuhr von Brennelementen

Rede im Deutschen Bundestag, 28. April 2017

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Vor ziemlich genau 31 Jahren ereignete sich im Atomkraftwerk Tschernobyl ein katastrophaler Unfall, der bis dahin nicht vorstellbar war

(Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Doch!)

und dessen Auswirkungen bis zu uns spürbar waren und auch noch lange spürbar sein werden.

(Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das konnten nur Sie sich nicht vorstellen!)

Unser oberstes Ziel ist daher die bestmögliche Sicherheit für die Bevölkerung und unser Land.
Dies hat nicht zuletzt dazu geführt, dass wir nach den Vorfällen von Fukushima den beschleunigten Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung beschlossen haben.

(Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nach dem zweiten GAU!)

Und glauben Sie mir: Als Klimapolitikerin kann ich sagen, dass der Ausstieg aus der nahezu CO2-neutralen Kernenergie bei der Stromerzeugung eine wahre Herkulesaufgabe darstellt. Aber wir stehen weiterhin fest zu unserem Beschluss und nehmen diese Herausforderung gerne an.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist eine Leistung!)

Wir nehmen auch die Ängste der Bürgerinnen und Bürger in den Grenzregionen vor möglichen nuklearen Unfällen in den naheliegenden ausländischen Reaktoren und ihre Sorgen sehr ernst, weil Radioaktivität eben keinen Halt an Grenzen macht. Denn, meine Damen und Herren, die Sicherheit der Bewohner an der Grenze hat für uns oberste Priorität, nicht aber irgendwelche Wahlkampfmanöver wie dieser Antrag der Grünen; das will ich vonseiten der Union ausdrücklich betonen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das haben Sie immer gesagt! Und dann fliegen die Atomkraftwerke in die Luft! Angeblich ist immer Wahlkampf! Es ist aber immer ein Risiko!)

In dieser Legislaturperiode haben wir uns im Umweltausschuss, aber auch im Plenum mit dem Thema der älteren grenznahen belgischen Reaktoren vielfach beschäftigt. Meine Damen und Herren, man kann viel fordern. Jedoch ist das aus meiner Sicht nur dann zielführend, wenn wir uns im Rahmen der Realität und des Machbaren bewegen. Deshalb sollten wir in den entsprechenden europäischen, internationalen und bilateralen Gremien mit unserem deutschen Know-how auf die Einhaltung höchster Sicherheitsstandards drängen. Nur so können wir ein Mehr an Sicherheit, unser wichtigstes Ziel, in den grenznahen Kernkraftwerken nachhaltig erreichen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dazu kann ich nur sagen, dass wir bzw. die Umweltministerin in dieser Legislaturperiode alles getan haben, was aus Sicht Deutschlands machbar ist.
Das Thema wurde auch in mehreren Kleinen Anfragen sowie in mündlichen und schriftlichen Fragen behandelt. Eine zentrale Antwort der Bundesregierung war und ist immer, wenn es um die Forderung nach Abschaltung dieser Reaktoren geht: Jeder Staat ist für seinen Energiemix selbst verantwortlich und bestimmt alleine.
Deshalb stehen uns nur sehr begrenzte Möglichkeiten der Einflussnahme zur Verfügung.
Die Kompetenz zum Energiemix liegt eben nicht auf der EU-Ebene. Ich sage dazu nur: Wenn die Kompetenz zum Energiemix auf EU-Ebene läge, dann hätten wir aller Voraussicht nach nicht in der Weise Vorreiter werden und aus der Kernenergie aussteigen können, meine sehr geehrten Damen und Herren. Nebenbei möchte ich auch erwähnen, dass Belgien nach derzeitiger belgischer Gesetzeslage beschlossen hat, bis zum Jahr 2025 aus der Kernenergie auszusteigen.
Was wurde seitens der Bundesregierung alles veranlasst? Letzten Dezember haben Deutschland und Belgien ein gemeinsames Nuklearabkommen unterzeichnet, das die bilaterale Zusammenarbeit der beiden Länder im Bereich der nuklearen Sicherheit vertieft und das die Grundlage für einen verlässlichen Informations- und Erfahrungsaustausch darstellt. Teil des Abkommens ist auch die Einrichtung einer deutsch-belgischen Nuklearkommission, einer Expertenkommission, die noch vor dem Sommer zum ersten Mal tagen und sich fachlichen Fragen widmen wird, wie zum Beispiel den gefundenen Kohlenstoffseigerungen in den Wandungen der Reaktordruckbehälter der beiden belgischen Reaktoren.
Auch sonst bedient sich die Bundesregierung aller diplomatischen Werkzeuge. Dort, wo in unseren Nachbarländern eine Laufzeitverlängerung vorgesehen ist, setzt sie sich dafür ein, dass eine verpflichtende grenzübergreifende Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt wird. Wir versuchen, unseren Nachbarn zu zeigen, dass man auch als Industrienation durch den Ausbau der sicheren erneuerbaren Energien aus der Kernenergienutzung zur Stromerzeugung mittelfristig aussteigen kann. Hier gehen wir mit gutem Beispiel voran und versuchen, Nachahmer zu finden. Das ist auch gut so, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel (SPD))

Ein Exportverbot und die Schließung der Urananreicherungsanlage Urenco und der Brennelementefabrik ANF, wie es die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Linke fordern, ist in meinen Augen der falsche Weg. Ich sage Ihnen auch, warum. Dafür gibt es aus meiner Sicht zwei Gründe.
Erstens. Bei Schließung dieser Firmen würde Deutschland wichtige Kompetenz im Nuklearbereich verlieren,

(Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Aha! Darum geht es also!)

die aus meiner Sicht vor allem für die Frage des sicheren Rückbaus, der auch uns sehr wichtig ist - ich komme aus einer Region, in der es ein Kernkraftwerk gibt -,

(Beifall bei der CDU/CSU - Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist ja das tollste Argument!)

von hoher Bedeutung ist.

(Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dafür brauchen wir Urenco?)

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Weisgerber, darf der Kollege Krischer eine Zwischenfrage stellen?

Dr. Anja Weisgerber:
Nein, ich möchte heute ausnahmsweise meine Rede gerne komplett zu Ende führen, weil sie allumfassend ist. Ich gehe davon aus, dass nach dieser Rede alle Fragen beantwortet sind.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, den zweiten Grund dafür erklären.
Nur mit Kompetenz und anerkanntem Know-how kann Deutschland durch Experten mit Sitz und Einfluss in den europäischen Gremien - der ENSREG, einem Beratungsgremium der EU-Kommission zu technischen Fragen, und der WENRA, dem Gremium der europäischen Genehmigungsbehörden - mitwirken. Der Kompetenzerhalt ist aber auch wichtig, um in der Internationalen Atomenergie-Organisation und in der Nuclear Energy Agency der OECD Gehör zu finden. Gerade dies ist unser wichtigstes Ziel: dass wir Gehör finden und dass wir weltweit hohe nukleare Sicherheitsstandards implementieren. Das ist unser oberstes Ziel.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Denn hier gilt der Grundsatz: Nur wer anerkannte Kompetenz hat und mitreden kann, der kann auch beeinflussen. An dieser Stelle muss man auch betonen, dass wir hier in Deutschland immer noch die sichersten Kernkraftwerke der Welt betreiben und über eine hohe Kompetenz in diesem Bereich verfügen. Der Ausstieg ist beschlossen - das ist ganz klar -, aber die Kompetenz ist vorhanden.
Verbannen wir jegliche kerntechnische Anlagen aus Deutschland, verlieren wir über kurz oder lang die entsprechende Kompetenz, mit der wir zum Beispiel auch die Sicherheit grenznaher Kraftwerke bewerten können. Wie gesagt, wir brauchen in Zukunft weiterhin die Kompetenz auf diesem Gebiet für den sicheren Rückbau der Kernkraftwerke, welcher noch ein bis zwei Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU - Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Man braucht doch kein Urenco für den Rückbau! Das ist doch absurd! Urananreicherung für den Rückbau! Das ist wirklich abstrus!)

Und nun zum nächsten Punkt: Es gilt das Redundanzprinzip. Ein Betreiber eines Kernkraftwerkes bezieht die Brennelemente immer aus zwei Quellen, um sicherzustellen, dass im Bedarfsfall die Brennstoffversorgung des Reaktors gesichert ist und nicht ins Stocken gerät. Würde Deutschland den Export der Brennelemente nach Belgien stoppen, würde das am Weiterbetrieb der Reaktoren in Doel und Tihange nichts ändern.
Zudem muss man auch klar betonen, dass die von der Firma ANF gefertigten Brennelemente eine sehr hohe Qualität haben. Auch dies ist ein wichtiger Sicherheitsaspekt. Und gerade die nukleare Sicherheit steht doch im Fokus. Das zieht sich wie ein roter Faden durch meine Rede.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser oberstes Ziel ist die Sicherheit für die Menschen, aber es ist äußerst fraglich, ob wir dies mit einem Exportverbot erreichen. Aus meiner Sicht muss man, wenn man mehr Sicherheit will - das wurde schon angesprochen -, auf der europäischen Ebene ansetzen und dort für eine Fortentwicklung der Sicherheitsstandards im Bereich der Kernkraftwerke werben. Dies ist für mich der einzig richtige Weg, mit dem wir auch etwas erreichen werden.
Deshalb muss es uns insbesondere gelingen, die hohen deutschen Sicherheitsstandards auf die europäische Ebene zu heben. Als ich Europaabgeordnete war, war es immer der Ansatz meiner europäischen Umweltpolitik, die deutschen Standards auf die europäische Ebene zu heben. Auch bei den Sicherheitsstandards in diesem Bereich müssen wir genau diesen Weg gehen, und dafür werbe auch ich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

In Ihrem Antrag sprechen Sie sich für eine sichere Lagerung der Brennelementkugeln des ehemaligen Forschungsreaktors Jülich aus. Diese Grundforderung trage ich zu 100 Prozent mit.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, Ihre Forderung nach einem neuen Zwischenlager am Standort Jülich lehne ich entschieden ab, da dies nicht die schnellste Lösung für eine sichere Lagerung der Brennelementkugeln ist.

(Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, wenn man schon fünf Jahre wartet, natürlich nicht! Wenn man nichts tut!)

Wie Sie alle wissen, wurde die Betriebsgenehmigung für das vorhandene Lager am Standort Jülich wegen fehlender Erdbebensicherheit entzogen.

(Jens Spahn, Parl. Staatssekretär: Aha!)

Wir haben dort einen rechtswidrigen Zustand, der zulasten der Sicherheit geht und schnellstmöglich beseitigt werden muss.
Welche Optionen stehen zur Verfügung?
Erstens der von Ihnen geforderte Bau eines neuen Zwischenlagers am Standort Jülich. Diese Option würde eine Genehmigungs- und Bauzeit von bis zu zehn Jahren bedeuten und so dem Ziel der schnellstmöglichen Behebung des rechtswidrigen Zustandes widersprechen und somit auch Sicherheitsdefizite mit sich bringen.
Zweitens ein Export der Brennelementkugeln zur Wiederaufarbeitung in den USA. Bislang ist fraglich, wann die Amerikaner genehmigungstechnisch für die Wiederaufarbeitung der Brennelementkugeln bereit sein werden.
Die dritte Möglichkeit ist der Transport in das Zwischenlager Ahaus. Diese Option ist zeitlich gesehen die schnellste Lösung, zumal schon seit ein paar Jahren vertraglich Lagerkapazitäten im Zwischenlager Ahaus vereinbart sind und eine Realisierungszeit von nur wenigen Jahren - meines Wissens wären es mindestens zwei Jahre - möglich wäre.

(Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 52 Transporte interessieren Sie nicht!)

Zusammengefasst wäre die Lagerung im Zwischenlager Ahaus die schnellste und damit sicherste Variante. Deshalb gebe ich diesen Ball, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, gerne an Sie und Ihre Kollegen in der rot-grünen Landesregierung in Nordrhein-Westfalen zurück.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zu Ihrer Forderung nach der Wiedereinführung der Kernbrennstoffsteuer möchte ich auch noch einige Worte verlieren. Die Kernbrennstoffsteuer wurde 2009/2010 bei der Laufzeitverlängerung eingeführt, um Gewinne der Energieversorger abzuschöpfen. Nachdem dann aber 2011 nach den Ereignissen von Fukushima der beschleunigte Ausstieg aus der Kernenergie parteiübergreifend beschlossen worden war,

(Zuruf von der SPD: Die Kehrtwende war das, nicht der beschleunigte Ausstieg!)

wurden die kurz vorher gesetzlich zugestandenen Laufzeiten der Kernkraftwerke wieder drastisch zurückgenommen. Deshalb ist die Steuer Ende 2016 ausgelaufen.
Es gibt fachlich also keinen sachlichen Grund, die Kernbrennstoffsteuer wieder einzuführen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition. Im Gegenteil! Wir sind heute schon viele Schritte weiter. Wir haben in dieser Legislaturperiode den gesamten Nuklearbereich auf ein neues gesetzliches Fundament gestellt. Die Finanzierungsfrage für die nuklearen Altlasten ist geregelt, und das Geld hierfür ist gesichert. Die Energieversorger werden ab dem 1. Juli dieses Jahres mehr als 23 Milliarden Euro in einen öffentlich-rechtlichen Fonds einzahlen. Der Bund wird für die Zwischenlagerung und die Endlagerung zuständig, welche aus dem Fonds finanziert werden. Die Energieversorger werden den Rückbau der Kernkraftwerke selbst durchführen und bezahlen. Auf der anderen Seite haben wir eine neue Behördenstruktur für den Nuklearbereich nach internationalem Maßstab geschaffen: den neuen Regulierer, das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit, BfE, und die bundeseigene Bundesgesellschaft für Endlagerung. Zuletzt haben wir zudem noch gesetzlich die neue Suche nach einem Endlager für wärmeentwickelnde hochradioaktive Abfälle festgelegt. Diese wird auch zeitnah starten. - Diese Liste zeigt, dass seit dem Beginn der Nutzung der Kernenergie in keiner Legislaturperiode so viel seitens des Gesetzgebers in diesem Bereich geregelt wurde. Hinzu kommt, dass diese Regelungen auch noch parteiübergreifend verabschiedet wurden. Wenn das kein Erfolg ist, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Das Thema „Sicherheit von Kernkraftwerken“ ist aus unserer Sicht sehr ernst zu nehmen. Dieses Thema ist aber zu ernst, um mit den Ängsten der Bevölkerung zu spielen und sich politisch mit Anträgen zu profilieren.

(Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie spielen! - Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unverschämtheit!)

Vielen Dank.