24. Plenarrede von Dr. Anja Weisgerber im Deutschen Bundestag

Rede im Deutschen Bundestag, 23. Juni 2016

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Pariser Abkommen wurde ein Meilenstein gesetzt. Das sieht man auch daran, dass am 22. April in New York 175 Staaten an der Unterzeichnung teilgenommen und die Ratifizierung eingeleitet haben. Das sind so viele Staaten wie nie zuvor bei einem vergleichbaren multilateralen Abkommen; beim Kioto-Abkommen waren am Ende nur noch 37 Staaten mit an Bord. Alle Staaten der Welt haben klar zum Ausdruck gebracht, dass sie hinter diesem Abkommen stehen.

Damit ist die Arbeit noch lange nicht abgeschlossen; das ist richtig. Jetzt geht es um die Umsetzung dieser Inhalte in allen Staaten der Welt. Werte Kollegin Höhn, auch in Deutschland arbeiten wir intensiv an der Umsetzung der deutschen und europäischen Klimaziele. Die Bundesregierung hat bereits im Dezember 2014 das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 vorgelegt, das rund 100 Maßnahmen in allen Sektoren vorsieht. Diese Maßnahmen werden umgesetzt; die Finanzierung der Fördermaßnahmen ist sichergestellt.

Das sind die mittelfristigen Maßnahmen bis 2020. Deutschland geht aber noch darüber hinaus. Ich würde einmal behaupten, dass es wenige Vertragsstaaten gibt, die schon bis 2050 Festlegungen treffen. Derzeit arbeitet das BMUB am Klimaschutzplan bis 2050, basierend auf einem breiten Bürgerdialog. In dem Ziel sind wir uns doch alle einig. Nicht einig sind wir uns über den Weg zu diesem Ziel. Sie schlagen ein Klimaschutzgesetz vor. Dazu möchte ich Folgendes sagen: Nordrhein-Westfalen hat zwei Jahre gebraucht, bis es ein solches Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht hat. In Berlin wurde nach fünfjährigem Ringen erst vor wenigen Tagen ein solches Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Zeit haben wir nicht; das wissen Sie auch. Wir handeln jetzt, und zwar mit den richtigen Maßnahmen. Wir kümmern uns um die Umsetzung unserer Ziele. Zeit in ein intensives Gesetzgebungsverfahren zu einem Klimaschutzgesetz ohne konkrete Maßnahmen zu investieren, das ist nicht der richtige Weg, meine Damen und Herren.

Wichtig ist jetzt, die Maßnahmen zur Erreichung der Ziele fortzuführen und weiterzuentwickeln und Entwicklungs- und Schwellenländer mit Projekten und Geldern zu unterstützen, damit sie ihre Wirtschaft von Anfang an klimaneutral aufbauen können. Beides macht die Bundesregierung. Wir haben gestern im Umweltausschuss gehört, was das Entwicklungshilfeministerium alles macht. Über 2 Milliarden Euro jährlich investiert das BMZ in den internationalen Klimaschutz. Der Grüne Klimafonds wird nach und nach immer weiter aufgefüllt. Deutschland ist auch hier Vorreiter. Erste Projekte werden bereits umgesetzt. Die Förderkriterien sind streng ausgerichtet. Die Länder werden unterstützt, ihre selbstgesteckten Klimaziele mit eigenen Projekten zu erreichen. Ich nenne als Beispiel Projekte zu erneuerbaren Energien in Afrika. Aber auch auf nationaler Ebene treffen wir die richtigen Maßnahmen. Ich möchte an dieser Stelle einen Bereich herausgreifen, der ein sehr großes Einsparpotenzial hat: die energetische Gebäudesanierung.

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Weisgerber, darf der Kollege Krischer eine Zwischenfrage stellen?

Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU):
Ja, gerne.

Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herzlichen Dank, Frau Weisgerber, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.   Sie haben gesagt, es würde zwei Jahre brauchen, bis ein Klimaschutzgesetz realisiert ist. Nun hat es die Regierung bzw. die Mehrheit des Hauses in der Hand, wie lange Gesetzgebungsprozesse dauern. Wir haben einen Entwurf eines Klimaschutzgesetzes zum ersten Mal vor zwei Jahren eingebracht. Das heißt, es könnte schon beschlossen sein, selbst wenn man einen solch langen Gesetzgebungszeitraum annimmt. Ihre Argumentation, dass Maßnahmen bereits stattfinden, stimmt nicht. Wenn ich der Umweltministerin gerade richtig zugehört habe, hat sie gesagt, im Verkehr seien wir sogar in der falschen Richtung unterwegs. Morgen beschließen wir ein EEG, mit dem der Ausbau den Erneuerbaren reduziert wird. Bei der Gebäudesanierung geht nichts voran; wir sind weit unter dem Ausbaukorridor. In der Landwirtschaft passiert überhaupt nichts; die Emissionen steigen. Man könnte diese Liste fortsetzen. Das heißt: Die Maßnahmen, von denen Sie sagen, sie würden ohne Klimaschutzgesetz umgesetzt, finden gar nicht statt. Wäre es nicht Ihrer Meinung nach sinnvoll, dass wir endlich eine gesetzliche Grundlage schaffen, damit hier von Ihnen und von Frau Hendricks nicht nur schön geredet wird, sondern dann auch Herr Dobrindt und andere in ihren Ressorts einmal Klimaschutzpolitik betreiben, was bisher nicht stattfindet?

Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU):
Gerne antworte ich auf Ihre Frage und möchte ganz konkret auf Ihren Entwurf eines Klimaschutzgesetzes eingehen. Sie schlagen Zwischenziele und jährliche Zielvorgaben vor. Sie schlagen vor, dass auf nationaler Ebene - zusätzlich zum europäischen Emissionshandel - Auflagen gemacht werden, dass auf nationaler Ebene ständig Steuern auf Emissionshandelszertifikate auf Basis eines Mindestpreises für CO2-Emissionszertifikate neu errechnet werden.

Sie sagen, das sorge für Verlässlichkeit und Planbarkeit. Da sage ich ganz klar: Wenn auf nationaler Ebene neue Steuern errechnet werden und neue Auflagen gemacht werden, dann ist das genau das Gegenteil von Verlässlichkeit und Planbarkeit für die Wirtschaft.

Zwischenziele jährlich zu berechnen, obwohl Experten sagen, dass die Zwischenergebnisse in den einzelnen Jahren Einflüssen wie der Witterung, dem Mineralölpreis usw. ausgesetzt sind, ist der falsche Weg. Es ist falsch, ein Gesetz zu schaffen, das nicht mit Maßnahmen unterlegt ist und zusätzliche nationale Auflagen vorsieht, das uns im europäischen Wettbewerb eher benachteiligt und dazu führt, dass die Emissionshandelszertifikate, die bei uns freigesetzt werden, in anderen europäischen Ländern verbraucht werden. Das führt letztendlich nicht zu dem Ziel, das wir alle haben, nämlich auf europäischer Ebene den Klimaschutz voranzubringen.

Vizepräsidentin Claudia Roth:
Frau Kollegin?

Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU):
Ich würde jetzt ganz gern mit meiner Rede fortfahren und danach bei Bedarf eventuell auch noch einmal antworten.

Vizepräsidentin Claudia Roth:
Alles klar.

Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU):
Ich möchte noch einmal auf die nationale Ebene eingehen. Ich möchte einen Bereich herausgreifen, der ein großes Einsparpotenzial birgt: die energetische Gebäudesanierung.

Im Gebäudebereich fallen 40 Prozent des Energieverbrauchs und ein Drittel der CO2-Emissionen in Deutschland an. Deshalb haben wir hier zahlreiche Programme der KfW aufgelegt, die wir weiterentwickeln und deren Mittel wir immer weiter aufstocken, und das ist auch gut so. Aber - jetzt komme ich gleich auf Ihren Zwischenruf - es muss noch mehr getan werden, ja. Der wirksamste Hebel ist die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung.

Der Unterschied zwischen Ihren Vorschlägen und den Vorschlägen Bayerns ist, dass Bayern sagt: Wir brauchen keine Gegenfinanzierung; wenn dieses steuerliche Instrument kommt, dann wird über die Mehrwertsteuereinnahmen so viel Geld in die Landeskassen hineingespült, dass sich das Projekt letztendlich von selbst amortisiert.

Da möchte ich Ihnen zurufen: Statt auf nationaler Ebene, auf Bundesebene, ein Klimaschutzgesetz zu fordern, ohne die entsprechenden Maßnahmen zu treffen, sollten Sie in die Länder mit grüner Regierungsbeteiligung fahren, dort die grünen Politiker ansprechen und dafür sorgen, dass wir gemeinsam, und zwar ohne diesen parteipolitischen Twist, der uns an der Stelle klimapolitisch nicht voranbringt, die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung auf den Weg bringen, zusammen mit den Bundesländern; denn das ist ein Instrument, das uns wirklich einmal voranbringen würde.

Vizepräsidentin Claudia Roth:
Frau Kollegin, erlauben Sie jetzt eine Zwischenfrage von Frau Höhn?

Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU):
Ich gestatte die Zwischenfrage, wenn ich dann länger sprechen darf.

Vizepräsidentin Claudia Roth:
Sie dürfen auf die Frage antworten. Ansonsten bleibt es bei der Redezeit.

Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU):
Ja.

Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Kollegin Weisgerber, Sie haben eben gesagt, das Problem sei, Steuern zu erheben, und deshalb könnten Sie da nicht mitgehen. Bei CO2-Emissionszertifikaten haben wir momentan in Großbritannien einen Mindestpreis von 23 Euro. Frankreich wird nächstes Jahr einen Mindestpreis einführen, der ungefähr bei 30 Euro pro Zertifikat, also pro Tonne CO2, liegt. Wenn Großbritannien in der EU bliebe - was wir wollen - und wir einen Mindestpreis festlegten, dann hätten die drei Großen - Großbritannien, Frankreich und Deutschland - einen Mindestpreis und könnten ihn damit auch international, auf europäischer Ebene, verankern. Warum sperren Sie von der CDU/CSU sich gegen diesen europäischen Mindestpreis? Mit den beiden anderen Ländern könnten wir es machen. Deutschland ist jetzt beim Mindestpreis der Blockierer und nichts anderes.

Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU):
Die Herzkammer der europäischen Klimapolitik ist der europäische Emissionshandel. Wir brauchen keine nationalen Mindestpreise, die von den einzelnen Mitgliedsstaaten auch noch unterschiedlich hoch festgelegt werden.

Wir setzen darauf, dass wir den Emissionshandel durchaus ehrgeizig reformieren.

Sie wissen, dass momentan in einem Gesetzgebungsverfahren auf europäischer Ebene die Reform des Emissionshandels verhandelt wird. Wir brauchen einen funktionierenden, marktbasierten Emissionshandel, aber wir müssen gleichzeitig dafür sorgen, dass durch Carbon-Leakage-Effekte keine Arbeitsplätze bei uns in Deutschland gefährdet werden. Vielmehr geht es darum, den Klimaschutz auf europäischer Ebene insgesamt voranbringt.
Wie gesagt: Wenn man auf nationaler Ebene noch zusätzliche Instrumente schafft, dann führt das zu einer Benachteiligung der Unternehmen in dem jeweiligen Mitgliedsland. Es führt dazu, dass Emissionszertifikate aus Frankreich oder Großbritannien frei werden, die dann von Polen oder Ländern in Südeuropa genutzt werden. Ich frage mich: Was bringt das im Ergebnis dem Klimaschutz? Es bringt dem Klima nichts, es schadet ihm sogar. Deswegen setze ich auf eine Stärkung des Emissionshandels insgesamt, und zwar auf europäischer Ebene. Ich setze darauf, dass sich die Bundesregierung intensiv in den Prozess einbringt und eine eigene Position in Bezug auf faire Carbon-Leakage-Mechanismen entwickelt.

So weit meine Antwort auf Ihre Frage.
Ich möchte in meiner Rede fortfahren und den Unterschied zwischen einem nationalen Klimaschutzgesetz, wie Sie es wollen, und den Maßnahmen, die wir auf den Weg bringen, darstellen. Wir wollen Klimaschutz, der alle Sektoren mitnimmt. Wir wollen Klimaschutzmaßnahmen, die Umweltinnovationen auslösen und Arbeitsplätze schaffen. Wir möchten die Klimaschutzmaßnahmen nicht durch auf nationaler Ebene verhängtes Ordnungsrecht gefährden. Wir möchten Anreize für den Klimaschutz schaffen. Wir möchten Technologieneutralität. In diesem Sinne bringen wir uns weiterhin in den Prozess ein.
Wir brauchen auch einen funktionierenden Emissionshandel. Wir müssen unsere Anlagen, die zu den effizientesten gehören, bei uns behalten. Eine Abwanderung unserer Anlagen ginge Hand in Hand mit der Abwanderung von Forschung und Entwicklung. Das ist kontraproduktiv. Deswegen noch einmal mein Appell: Wir brauchen praxistaugliche und gerechte Carbon-Leakage-Regeln. Wir hoffen, dass sich die Bundesregierung jetzt wirklich konstruktiv in den Prozess auf europäischer Ebene einbringt.

Als Letztes möchte ich in meiner Rede auf eine Reihe von Äußerungen der Opposition der letzten Wochen zum Thema EEG eingehen; auch vorhin ging es um die Energiewende. Da ist von einem Ausbremsen usw. die Rede.

Von einem Ausbremsen kann nicht die Rede sein.

In den letzten zwei Jahren ist der Anteil der erneuerbaren Energien um 7,4 Prozent gewachsen, so viel wie nie zuvor. Ich frage mich - eben war Kollege Trittin noch hier -, ob Sie Ihre eigenen Ziele, die Sie sich damals gesetzt haben, auch so erreicht haben wie wir.

Vizepräsidentin Claudia Roth:
Frau Kollegin, entschuldigen Sie bitte. Ich wollte Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage oder einen Kommentar von Frau Bulling-Schröter zulassen.

Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU):
Ich würde diesen Gedanken zu den erneuerbaren Energien ganz gerne fortführen -

Vizepräsidentin Claudia Roth:
Gut.

Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU):
- und dann zum Ende meiner Rede kommen.

Vizepräsidentin Claudia Roth:
Genau.

Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU):
Von einem Ausbremsen kann nicht die Rede sein.
Man muss dazusagen: In diesem Jahr liegt die EEG-Umlage bei rund 7,5 Cent, nächstes Jahr soll sie bei rund 8 Cent liegen, mit Mehrwertsteuer entspricht das rund 10 Cent. Das bedeutet für eine vierköpfige Familie Mehrkosten von 500 Euro pro Jahr. Das ist wahrlich kein Pappenstiel. Sie schlagen nun die Abschaffung der Deckelungsregelung und den Erhalt der festen Einspeisevergütung vor. Die Folge wäre letztendlich eine Preisexplosion, und dann käme es - das wollen wir alle nicht; denn wir wollen die Energiewende, und wir wollen die Bürger mitnehmen - zu einem Akzeptanzverlust bei den Bürgerinnen und Bürgern. Das können auch Sie nicht wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich komme zum Schluss meiner Rede. Klimaschutz ist eine der wichtigsten Herausforderungen unseres Jahrhunderts; so möchte ich das als Klimapolitikerin formulieren. Ich sage Ihnen: Wir nehmen diese Herausforderung gerne an. Wir handeln und machen Klimaschutzpolitik mit Augenmaß.
Vielen Dank.