8. Plenarrede von Dr. Anja Weisgerber im Deutschen Bundestag

Plenarrede im Deutschen Bundestag

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Weltweit nehmen die kriegerischen Auseinandersetzungen und politische Verfolgung zu. Dadurch kommen immer mehr Menschen in unser Land, die Schutz suchen und denen wir auch Schutz bieten wollen. Wir übernehmen humanitäre Verantwortung für diese Menschen, und das ist auch gut so. Wir haben es aber gerade von der Frau Senatorin gehört: Die Situation stellt uns vor große Herausforderungen, besonders die Kommunen. Unsere Städte, Kreise und Gemeinden leisten hier tagtäglich Außergewöhnliches. Das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich loben.

Doch sie stoßen eben vermehrt an ihre Grenzen. Die Zahlen der Asylbewerber steigen stetig. Zum Beispiel sind Anfang Oktober allein an einem Wochenende mehr als 700 Asylbewerber in Bayern angekommen. Das stellt eine Frage immer mehr in den Vordergrund: Wie können wir die Flüchtlinge angemessen unterbringen? Das bestehende Bauplanungsrecht ist momentan zu unflexibel, um kurzfristig auf den Zustrom reagieren zu können. Zudem gibt es immer wieder Klagen gegen Baugenehmigungen für Flüchtlingsunterkünfte. Das führte zu teils sehr zwiespältigen Urteilen. Ich möchte ein Beispiel nennen: In Baden-Württemberg hat ein Nachbar erfolgreich dagegen geklagt, dass in einem leerstehenden Lehrlingswohnheim in einem Gewerbegebiet Flüchtlinge untergebracht werden, mit der Folge, dass die Flüchtlinge aus dem Wohnheim aus- und in einen Container einquartiert werden mussten. Das kann doch nicht sein; das können wir doch nicht wollen.
Das zeigt, dass wir diese Änderungen im Baurecht brauchen. Mit dem Gesetz schaffen wir genau die nötige Rechtssicherheit, aber auch die nötige Flexibilität, und das ist gut so.

Den Antrag der Linken habe ich aufmerksam durchgelesen. Sie fordern darin menschenwürdige Flüchtlingsunterkünfte. Das wollen wir alle.
Auch wir wollen menschenwürdige Unterkünfte. Auch wir wollen die Flüchtlinge in möglichst vielen dezentralen kleinen Einheiten unterbringen. Aber woher sollen wir diese Einheiten nehmen? Wir stoßen hier einfach an unsere Grenzen. Wir alle kennen die Situation in den Ballungsgebieten. Dort ist Wohnraum ohnehin knapp. Natürlich brauchen wir neuen Wohnraum, und wir müssen den öffentlichen Wohnungsbau stärken. Die Bundesländer müssen im Übrigen die Mittel, die sie dafür vom Bund bekommen, auch dafür verwenden.
Das müssen wir unbedingt angehen. Aber der notwendige Wohnraum wird eben nicht von heute auf morgen geschaffen. Das braucht Zeit, und diese Zeit haben wir derzeit nicht. Die Initiative Hamburgs im Bundesrat habe ich wie einen Hilferuf wahrgenommen. Wir dürfen die Kommunen in dieser Situation nicht im Stich lassen. Deswegen ist der Gesetzentwurf auch so wichtig. Immer wieder wird kritisiert, die Unterbringung von Flüchtlingen in Ortsrand- oder Gewerbegebieten sei menschenunwürdig. Aber ich frage: Ist es denn aus Ihrer Sicht wirklich menschenwürdiger, diese Menschen im Winter, wenn es kalt ist, in Zelten oder Containern unterzubringen?

Genau das wollen wir eben nicht. Wichtig für die Flüchtlinge ist es doch, dass sie ein Dach über dem Kopf haben. Mit dem Gesetz geben wir den Ländern und den Kommunen ein Instrumentarium an die Hand, um schneller und unkomplizierter Hilfe leisten zu können. Befristet auf fünf Jahre bekommen die Kommunen mehr Handlungsoptionen. Für den Fall, dass die Kommunen die Asylbewerber nicht dezentral im Innenbereich oder im integrierten Wohnbereich unterbringen können, bekommen sie die Möglichkeit, Flüchtlinge in Außenbereichen unterzubringen, wenn diese unmittelbar an die bebaute Ortschaft angrenzen.

Unter bestimmten Voraussetzungen - ich betone: unter bestimmten Voraussetzungen - können Unterkünfte in Gewerbegebieten entstehen. Die Unterbringung in Gewerbegebieten ist zudem nur auf Flächen möglich, auf denen bislang schon Anlagen für soziale Zwecke als Ausnahme zugelassen werden können oder zulässig sind. Außerdem müssen die Interessen der dort ansässigen Betriebe gewahrt werden, und die Unterbringung muss mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein. Das heißt, dass in Gebieten mit zu hoher Lärm- oder Geruchsbelästigung ohnehin niemand untergebracht wird.
Das gehört auch zur Wahrheit dazu. Diese Voraussetzungen enthält das Gesetz. Ich bin der Meinung, mit diesem Maßnahmenpaket versetzen wir unsere Städte und Gemeinden in die Lage, den Menschen schnellstmöglich zu helfen.
Doch - und das möchte ich abschließend noch sagen - das Gesetz ist eben nur ein Baustein zur Entlastung der Kommunen. Die Lösung der Flüchtlingsfrage ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, an der sich alle, auch unsere europäischen Nachbarn im Übrigen, beteiligen müssen.

So ist es ein positives Signal, dass die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben verfügbare Immobilien und Freiflächen offensiv als Asyl- und Flüchtlingsunterkünfte anbietet. Aber auch das allein reicht nicht. Die Städte und Gemeinden brauchen mehr Flexibilität. Mit dem Gesetz senden wir heute ein wichtiges Signal an die Kommunen und die schutzbedürftigen Menschen aus, dass die notwendige Flexibilität jetzt geschaffen wird. Deshalb stimmen wir dem Gesetz auch aus Überzeugung zu.

Ich fand es bemerkenswert, dass die Grünen gesagt haben, dass sie nicht dagegen stimmen, sondern sich enthalten werden. Ein gewisser Bedarf wird also vielleicht auch bei den Grünen gesehen.
Vielen Dank.