Neue Arbeitszeitrichtlinie muss flexibler und fairer werden

Differenzierung bei Bereitschaftszeit notwendig / EU darf nur Grundsätze regeln / Europaparlament zur Arbeitszeitrichtlinie in 1. Lesung
Straßburg. Die künftige EU-Arbeitszeitrichtlinie bleibt weiter umstritten. In erster Lesung hat sich heute das Plenum des Europäischen Parlaments in wesentlichen Punkten gegen den sachgerechten Vorschlag der EU-Kommission ausgesprochen. "Das Europäische Parlament hat heute das Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Sache bestätigt und damit die Chance auf eine flexible und zukunftsorientierte Lösung vorerst vertan", sagte Anja Weisgerber, sozialpolitische Sprecherin der CSU-Gruppe im Europäischen Parlament.
Gestern hatte sich die Fraktion der Europäischen Volkspartei mit deutlicher Mehrheit für die von Weisgerber vertretene flexible Lösung ausgesprochen. "Bedauerlicherweise konnte sich die linke Mehrheit im Parlament unseren sachgerechten und zukunftsorientierten Vorschlägen nicht anschließen. Die Verantwortung für die heutige Entscheidung und ihre Folgen trifft demnach auch nicht die Europäische Union, sondern die Mehrheit von Sozialisten, Grünen und anderen Linken und deren Regelungswut", so Weisgerber. Der EuGH hatte in seinem Urteil vom 9.September 2003 festgestellt, dass ein Bereitschaftsdienst, der die Anwesenheit am Arbeitsort erfordert, komplett als Arbeitszeit anzusehen ist. Ein deutscher Arzt hatte damals die Klage eingereicht. Die Europäische Kommission hatte als Konsequenz aus dem Urteil eine Revision der Arbeitszeitrichtlinie vorgeschlagen. Es sollte künftig zwischen "aktiver" und "inaktiver" Bereitschaftszeit unterschieden werden, um flexible Arbeitszeitmodelle zu ermöglichen. Das Europäische Parlament hat dieses Konzept heute in erster Lesung mit knapper Mehrheit verworfen und will Bereitschaftszeit grundsätzlich komplett als Arbeitszeit anerkennen. "Das führt unweigerlich zu Ungerechtigkeiten. Die Arbeitszeitrichtlinie gilt nämlich nicht nur für Ärzte, sondern auch für eine Reihe anderer Berufsgruppen. Die Bereitschaftszeiten von Feuerwehren und Jugendhilfearbeitern zum Beispiel sind fast immer inaktiv, die von einem Teil der Krankenhausärzte aber nicht. Deshalb hätten wir unbedingt mehr Flexibilität gebraucht", so die unterfränkische CSU-Europaabgeordnete.
Auch der Opt-out-Klausel erteilte die linke Mehrheit der Abgeordneten im Europäischen Parlament eine Absage. Nach einer Übergangsphase von drei Jahren nach Inkrafttreten der Richtlinie sollen die Mitgliedstaaten nicht mehr von der durchschnittlichen wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden abweichen dürfen. "Das führt zu einer starken Einschränkung flexibler Arbeitszeitmodelle. Ein wettbewerbsfähiges Europa sieht anders aus", so Anja Weisgerber. Die Kombination dieser beiden Entscheidungen - die Festschreibung des Grundsatzes "Bereitschaftsdienstzeit ist Arbeitszeit" und die Abschaffung des Opt-out - führt dazu, dass Bereitschaftsdienste in der heutigen Form in Deutschland nicht mehr möglich sein werden. "Kein Mensch weiß, woher in Deutschland die 20.000 bis 27.000 neuen Ärzte und 14.000 neuen Pflegekräfte kommen sollen, die gebraucht würden, wenn von Bereitschaftsdienstmodellen auf Schichtdienstmodelle umgestellt werden muss. Diese sind kostenintensiver und bedrohen damit die Existenz gerade der für die flächendeckende Versorgung wichtigen kleinen Kreiskrankenhäuser.
"Diese Schichtdienstmodelle haben auch zur Folge, dass in Krankenhäusern und Pflegeheimen mit dünner Personaldecke nicht mehr rund um die Uhr der richtige Facharzt für jeden Patienten verfügbar ist. Durch die dann nötigen fachübergreifenden Notdienste könnte es zu einer nicht hinnehmbaren Verschlechterung der qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung der Bürgerinnen und Bürger kommen", beschreibt Weisgerber. Nun werden sich die nationalen Regierungen (Rat) dem Dossier annehmen. Anja Weisgerber verwies darauf, dass der EP-Bericht keine qualifizierte Mehrheit erhielt, die in zweiter Lesung für Änderungen der Ratsposition notwendig wäre. "Trotz der bedauerlichen Entscheidung vom heutigen Tag tritt ein Großteil der Abgeordneten für eine sachgerechtere Lösung ein", so Weisgerbers positive Einschätzung des heutigen Votums. Sollte nach zwei Lesungen keine Einigung erfolgen, kommt es zu einem Vermittlungsverfahren.