Bayreuther Vorträge zum Recht - "Aktuelle Entwicklungen in der europäischen Umweltpolitik"

Das Thema meines heutigen Vortrags lautet „Aktuelle Entwicklungen in der europäischen Umweltpolitik“.
Ich werde zunächst das Gesetzgebungsverfahren innerhalb der Europäischen Union einfach chronologisch darstellen.
Die einzelnen Punkte werde ich dabei durch aktuelle Beispiele von Gesetzgebungsvorhaben, die gerade das jeweilige Stadium in Verfahren erreicht haben, illustrieren.
Dass dabei der Schwerpunkt auf der Arbeit im Europäischen Parlament liegt, erklärt sich schon durch meine Stellung als Abgeordnete des Europaparlaments.
Es erklärt sich aber auch durch die Tatsache, dass das Parlament im Vergleich zu den anderen beiden Institutionen, dem Europäischen Rat und der Europäischen Kommission, am transparentesten für die Öffentlichkeit ist.
Es erklärt sich schlussendlich natürlich auch mit Ihnen, dem Adressatenkreis meiner Rede.
Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments werden nämlich von jungen Assistenten unterstützt.
Diese Assistenten werden von den Abgeordneten gerne auch aus den Reihen von Jura- oder Politikwissenschaftsstudenten rekrutiert und sind oft auch Berufsanfänger.

Durch den Aufbau des Vortrags möchte ich vor allem die folgenden Fragen beantworten:
Wie läuft ein Gesetzgebungsverfahren auf europäischer Ebene in der Praxis ab?
Wer sind die beteiligten Akteure und wie viel Einfluss haben sie auf das Endergebnis?
Wie nähert sich eine Abgeordnete / ein Abgeordneter einem neuen Thema?

Ich hoffe, damit einen anschaulichen und interessanten Blick hinter die Kulissen zu gewähren, jenseits der Artikel des EU Vertrages und jenseits der Lehrbücher.
Sollten nach dem Vortrag noch weitere Fragen offen bleiben, so bin ich selbstverständlich gerne bereit, diese im Anschluss zu beantworten.
Gerne können Sie mich natürlich auch während des kleinen Empfangs ansprechen, der heute noch im Anschluss stattfinden wird.

Basics: Überblick über das Mitentscheidungsverfahren
Nach diesen kurzen einleitenden Worten möchte ich nun mit meinem Gang durch das europäische Gesetzgebungsverfahren beginnen.
Dabei möchte ich ganz kurz im Überblick das Verfahren einmal komplett darstellen.
Es gibt gemäß der Artikel 250-252 EGV insgesamt 3 Rechtssetzungsverfahren, die sich durch die unterschiedlich intensive Beteiligung des Europäischen Parlaments unterscheiden.
Diese Verfahren sind das Anhörungs-, das Zusammenarbeits- und das Mitentscheidungsverfahren.
Im Umweltausschuss und im gesamten Parlament ist das Mitentscheidungsverfahren mit weitem Abstand das häufigste Verfahren.
Daher werde ich mich auf das Mitentscheidungsverfahren konzentrieren.

Grundsätzlich sind am Rechtssetzungsverfahren der Mitentscheidung drei Hauptakteure beteiligt: Die Kommission, der Rat und das Parlament.
Wichtig ist, dass das Initiativrecht für neue Gesetze grundsätzlich bei der Kommission liegt.
Der Vorschlag für eine europäische Richtlinie oder eine europäische Verordnung kommt also immer von der Kommission.
Der konkrete Vorschlag der Kommission für einen Gesetzestext wird als erstes dem Europäischen Parlament übermittelt.
Dort wird er geprüft und von den Abgeordneten diskutiert.
Zunächst von den Abgeordneten eines der 20 ständigen Ausschüsse im Parlament.
Welcher Ausschuss dies ist, richtet sich nach der Zuständigkeit des Ausschusses.
Wir im Umweltausschuss beraten und beschließen über alle diejenigen Gesetzgebungsvorschläge der Kommission, die die Umweltpolitik betreffen.
Am Ende der Debatten gibt es einen Bericht des Ausschusses, der konkrete Änderungen am Text des Kommissionsvorschlages enthält.
Dieser Bericht wird dann im Plenum von allen Abgeordneten (derzeit 785) des Europäischen Parlaments beraten und abgestimmt, wobei in der Regel noch Änderungen am Bericht des Ausschusses vorgenommen werden.
Dieser Bericht des Parlaments wird dann an den Rat übermittelt.

Im Rat tagen regelmäßig die Vertreter der 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
Dies sind in der Regel jeweils die verschiedenen Bundesminister oder Staatssekretäre.
Diese Vertreter einigen sich ebenfalls auf eine gemeinsame Position.
Dies ist der so genannte Gemeinsame Standpunkt des Rates.
Der Gemeinsame Standpunkt kann entweder einzelne Änderungen des Europäischen Parlaments ablehnen, Änderungen des Parlaments annehmen oder auch neue, eigene Änderungen vornehmen.
Dieser Gemeinsame Standpunkt – also der ursprüngliche Gesetzesentwurf der Kommission mit den Änderungen des Parlaments und des Rates – wird dann wieder an das Parlament übermittelt.

Das Parlament hat daraufhin insgesamt drei Monate Zeit, um
a) entweder die Änderungen des Rates zu akzeptieren oder
b) seine alten Änderungen wiederum – allerdings diesmal mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder – neu zu beschließen oder
c) Änderungen zu beschließen, die zwischen der Position des Rates und derjenigen des Parlaments liegen, so genannte Kompromisse.
Danach geht das Paket zurück an den Rat.
Der Rat kann die Änderungen des Parlaments akzeptieren.
Dann tritt das europäische Gesetz in dieser Form in Kraft.
Wenn der Rat nicht alle Änderungen des Parlaments akzeptieren kann, dann kommt es zum Vermittlungsverfahren.
In diesem Fall muss der Vermittlungsausschuss – dies sind 27 Mitglieder des Parlaments und 27 Mitglieder des Rates – einberufen werden, um eine Annäherung zwischen den unterschiedlichen Standpunkten von Rat und Parlament herbeizuführen.
Gelingt diese Annäherung und der Vermittlungsausschuss kann eine gemeinsame Position erarbeiten, wird das Gesetz in dieser erarbeiteten Fassung beschlossen und kann in Kraft treten.
Gelingt dies nicht, ist das Gesetzgebungsverfahren gescheitert und das Gesetz kommt nicht zustande.
Ein Schema über das Mitentscheidungsverfahren werde ich im Anschluss an meinen Vortrag verteilen.

Nach diesem kurzen Überblick, möchte ich nun das Verfahren etwas genauer beleuchten.
Dabei werde ich an geeigneten Stellen auch kurze Exkurse zu interessanten Themen meiner alltäglichen Arbeit im Europäischen Parlament machen.

Das Mitentscheidungsverfahren (Artikel 251 EGV)
Vor dem Vorschlag der Kommission
Ich habe vorhin bereits erwähnt, dass die Kommission das alleinige Initiativrecht für Gesetzgebungsvorschläge hat.
Dabei haben die offiziellen Vorschläge der Kommission oft eine lange Vorgeschichte.
Wenn ein wichtiges Thema noch nicht auf europäischer Ebene behandelt wurde oder wenn sich die Rahmenbedingungen stark verändert haben, erstellt die Kommission in manchen Fällen ein so genanntes Grünbuch.
In dem gibt sie, nach informellen Gesprächen mit Akteuren, die von dem Thema betroffen sind, den Stand der Dinge wieder und formuliert, in welche Richtung ihrer ersten Einschätzung nach die EU Einfluss nehmen sollte.
Auf ein Grünbuch kann ein so genanntes Weißbuch folgen.
Darin werden die Vorschläge bereits konkretisiert und die Richtung, in die ein zukünftiger Gesetzesentwurf gehen soll, wird deutlicher.
Zwischen Grünbuch und Weißbuch liegt häufig eine Internetkonsultation der Kommission.
Dort lädt die Kommission auf ihrer Homepage dazu ein, zu den im Grünbuch gemachten Vorschlägen Stellung zu nehmen.
Dabei können sowohl Verbände, nationale Regierungen, NGO´s, Bundesländer, aber auch Privatpersonen ihre Ansicht zu dem Grünbuch kundtun.

Exkurs: Thematische Strategien in der europäischen Umweltpolitik
In letzter Zeit bedient sich die Kommission gerade im Umweltbereich immer häufiger so genannter „Thematischer Strategien“ zur Vorbereitung von konkreten Rechtsvorschriften.
Bereits seit 1973 wird die Ausrichtung der EU-Umweltpolitik in den so genannten Umweltaktionsprogrammen festgelegt.
Im derzeitigen 6. Umweltaktionsprogramm legte die Kommission die umweltpolitischen Ziele für die nächsten zehn Jahre (2002-2012) fest und beschrieb die erforderlichen Maßnahmen.
Im Gegensatz zu den vorherigen Umweltaktionsprogrammen wurden im sechsten Umweltaktionsprogramm weder neue quantifizierbare Ziele noch Umsetzungsfahrpläne festgelegt.
Stattdessen sieht das momentane Aktionsprogramm die Verabschiedung von sieben so genannten „Thematischen Strategien“ vor.
Thematische Strategien werden auf Grundlage umfassenden Wissens und umfangreicher Konsultationen erarbeitet.
Durch eine umfassende Betrachtung der Probleme und der Verknüpfung mit anderen Politikbereichen enthalten die thematischen Strategien oft ein Bündel von Maßnahmen, um die umweltpolitischen Ziele zu erreichen.
Darin drückt sich eine zunehmende Tendenz des europäischen Umweltrechts aus, die Umweltziele durch einen umfassenden, ganzheitlichen Ansatz zu verwirklichen.
So wird zum Beispiel in verschiedenen Rechtsakten der EU gefordert, dass bereits bei dem Entwurf eines Industrieprodukts auf die Umweltverträglichkeit geachtet werden muss.
Dieser ganzheitliche Ansatz spiegelt sich auch in dem so genannten „Life Cycle Assessment“ wieder.
Für die europäische Umweltpolitik beginnt die umweltpolitische Relevanz eines Joghurtbecher nicht erst dann, wenn er als Abfall auf der Mülldeponie liegt, sondern bereits dann, wenn er konzipiert wird.
Derzeit werden im Umweltausschuss des EP mit der Thematischen Strategie zur nachhaltigen Nutzung von Pestiziden und der Thematischen Strategie zur Bodennutzung die beiden letzten Thematischen Strategien des sechsten Umweltaktionsprogramms behandelt.

Ein weiteres, gerade sehr aktuelles Rechtssetzungsvorhaben, welches sich noch in dem Stadium vor dem konkreten Kommissionsvorschlag befindet, ist Ihnen sicher aus der Presse bekannt.
Die Kommission hat am 7. Februar nach heftigem Ringen der beiden zuständigen Kommissare Dimas (Umwelt) und dem deutschen Kommissar Verheugen (Industrie) eine Strategie zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes von PKW vorgelegt.
Die Vorschläge der Kommission zielen darauf ab, die europäischen Automobilhersteller zu verpflichten, den CO2-Ausstoß von Neuwagen bis 2012 auf 130 g/km zu senken.
Bislang hat die Kommission nur die Strategie vorgeschlagen, es liegen noch keine Vorschläge für konkrete Gesetze auf dem Tisch.
Dennoch gab es bereits intensives Lobbying, Vertreter von Automobilherstellern und Umweltschutzverbände waren bei mir im Büro.
Diese Woche waren Vertreter des Bundesumweltministeriums im Parlament und haben im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft deutschen Europaabgeordneten verschiedene Möglichkeiten zur Erreichung des 130 g/km-Ziel vorgestellt.

An diesen Beispielen möchte ich deutlich machen, dass lange Zeit bevor die Kommission ihren konkreten Gesetzgebungsvorschlag veröffentlicht, bereits ein heißes Ringen um die konkrete Gestalt des Vorschlags einsetzt.
Ich möchte an dieser Stelle auch nicht verschweigen, dass die Kommission im speziellen Fall der Reduzierung des CO2 Ausstoßes durch PKW zunächst einen anderen Weg eingeschlagen hatte.
Im Jahr 1998 hatte die Kommission ein freiwilliges Abkommen mit den Automobilherstellern unterzeichnet, in dem sich die Hersteller dazu verpflichteten, bis 2008 die CO2 Emissionen von Neuwagen auf 140 g/km zu senken.
Es ist bereits jetzt erkennbar, dass dieses Ziel deutlich verfehlt werden wird, da die durchschnittlichen Emissionen zwischen 1995 und 2004 lediglich von 186 g/km auf 164 g/km sanken.
Daher greift die Kommission jetzt anstelle von freiwilligen zu gesetzlichen Regeln.

Der Vorschlag der Kommission
Wenn die Kommission ihre Vorarbeiten, Konsultationen und Gesetzesfolgeabschätzungen abgeschlossen hat, veröffentlicht sie den Gesetzgebungsvorschlag und leitet ihn an das Europäische Parlament weiter.
Damit startet sie den offiziellen Gesetzgebungsprozess.

Exkurs: Wie entscheidet die Kommission aber, welche Art von Rechtsakt sie vorschlägt?
Gemäß Artikel 249 können insgesamt fünf Rechtsakte auf europäischer Ebene erlassen werden: Die Verordnung, die Richtlinie, die Entscheidung, die Empfehlung und die Stellungnahme.
Für das Gesetzgebungsverfahren sind aber nur die Verordnung und die Richtlinie relevant, wobei die Richtlinie die häufigste Form darstellt
Der grundlegende Unterschied zwischen einer Verordnung und einer Richtlinie besteht darin, dass die Verordnung nach Artikel 249 Absatz 2 „in allen ihren Teilen verbindlich und […] unmittelbar in jedem Mitgliedstaat [gilt]“.
Dagegen ist die Richtlinie nach Artikel 249 Absatz 3 für jeden Mitgliedstaat lediglich hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich.
Die Wahl der Form und der Mittel bleibt aber den innerstaatlichen Stellen überlassen.
Konkreter: Die auf europäischer Ebene verabschiedete Richtlinie muss im Gegensatz zur Verordnung noch in nationales Recht umgesetzt werden, während die Verordnung automatisch nationales Recht wird.
Die Richtlinie gewährt den Mitgliedstaaten also einen Spielraum.
Der Vorschlag für eine neue Verordnung oder Richtlinie kommt von der Kommission.

Wie aber entscheidet die Kommission, ob sie eine Verordnung vorschlagen soll oder es doch bei einer Richtlinie belassen kann?
Hier kommen das Subsidiaritätsprinzip und die juristische Verhältnismäßigkeit ins Spiel.
Nach dem Subsidiaritätsprinzip dürfen von der EU nur die Aufgaben übernommen werden, die die Mitgliedstaaten allein nicht mehr zufrieden stellend wahrnehmen können.
Die EU darf also nur dann tätig werden, wenn sie das Ziel besser erreichen kann.
Nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip muss sich die Kommission dabei des Rechtsaktes bedienen, der am wenigsten in die Kompetenz der Mitgliedstaaten eingreift.
Daher enthält jeder Verordnungsvorschlag in der Begründung einen Passus, warum die EU tätig werden muss und warum sie mit einer Verordnung und nicht mit einer Richtlinie tätig werden muss.
So steht zum Beispiel im Vorschlag für eine Verordnung über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, die ich für den Binnenmarktausschuss als Berichterstatterin betreue (was das genau ist, dazu kommen wir später) unter der Überschrift „Subsidiarität“ unter anderem:

Verfahren
Nachdem die Kommission sich entschieden hat, ob sie eine Verordnung oder eine Richtlinie vorschlagen will, muss sie aber auch noch beachten, welches Rechtssetzungsverfahren für diesen Vorschlag einschlägig ist.
Ich hatte bereits im Überblick erwähnt, dass es neben dem Mitentscheidungsverfahren noch weitere Rechtssetzungsverfahren gibt, die sich durch die unterschiedlich intensiven Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments unterscheiden.
Wie klärt aber nun die Kommission, nach welcher Verfahrensart der Vorschlag weiter behandelt wird?
Im Prinzip gibt der EG Vertrag vor, welches jeweils das richtige Verfahren ist.
Dabei kommt es in erster Linie auf das Politikfeld an, in dem die Richtlinie oder Verordnung angesiedelt ist.
So muss sich jeder Vorschlag für eine neue europäische Verordnung oder Richtlinie auf einen bestimmten Artikel des Vertrages stützen, auf die so genannte „Rechtsgrundlage“ des Vorschlags.
So stützen sich Gesetzgebungsvorschläge im Umweltbereich in der Regel auf Artikel 175 EGV, der in seinem Absatz 1 die Anwendung des Mitentscheidungsverfahrens anordnet.
Wenn sich der Vorschlag auf eine Rechtsgrundlage im Kapitel Landwirtschaft des EGV stützt und im Agrarbereich einzuordnen ist, gilt hingegen gemäß Artikel 37 Absatz 2 EGV in der Regel das Anhörungsverfahren.
Daher muss die Kommission am Anfang des Vorschlags auch immer genau angeben, auf welche Rechtsgrundlage sie ihren Vorschlag stützt.

Was passiert aber, wenn ein vorgeschlagener Rechtsakt mehrere Politikfelder berührt, wenn mehrere Rechtsgrundlagen in Betracht kommen?
Was passiert, wenn diese verschiedenen Politikfelder unterschiedliche Verfahren nach sich ziehen?
Ein sehr aktuelles Beispiel betrifft die bereits kurz erwähnte Bodenschutzstrategie, der mittlerweile auch der Vorschlag für eine Bodenschutzrichtlinie gefolgt ist.
Die Kommission hat in ihrem Vorschlag für die Bodenschutzrichtlinie lapidar festgestellt: „Die Bestimmungen dieser Richtlinie beziehen sich auf den Umweltschutz, so dass die Richtlinie sich auf Artikel 175 Absatz 1 EG-Vertrag als Rechtsgrundlage stützt.“
Nach Artikel 175 Absatz 1 EGV gilt das Mitentscheidungsverfahren, dessen Anwendung die Kommission auch vorgesehen hat.
Dagegen regt sich interessanter Weise momentan Widerstand im Parlament.
Um diesen Widerstand besser zu verstehen, ist ein Blick auf Art. 175 Absatz 2 notwendig.
Dort ist zu lesen: „Abweichend von dem Beschlussverfahren des Absatz 1 EGV (Mitentscheidungsverfahren) erlässt der Rat…nach Anhörung (!) des Europäischen Parlaments …einstimmig (!) …Maßnahmen, die…die Bodennutzung …berühren.“
Die Argumentation von Teilen des Parlaments geht jetzt in die Richtung, dass die Kommission mit Artikel 175 Absatz 1 EGV die falsche Rechtsgrundlage gewählt habe.
Richtige Rechtsgrundlage sei Artikel 175 Absatz 2 EGV, da der Vorschlag des Parlaments neben seiner umweltpolitischen Zielrichtung auch Fragen der Bodennutzung „berühre“.
Wenn auch der juristische Dienst des Rates und des Europäischen Parlaments nach einer Prüfung zu dem Ergebnis gekommen sind, dass Art. 175 Absatz 1 EGV die korrekte Rechtsgrundlage für die Bodenschutzrichtlinie sei, bin ich der Ansicht, dass sich aus juristischer Sicht durchaus gewichtige Argumente für Artikel 175 Absatz 2 als zutreffende Rechtsgrundlage finden lassen.
Schließlich verlangt Artikel 175 Absatz 2 EGV lediglich, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen die Bodennutzung „berühren“.
Doch was für Folgen hätte dies?
Das Parlament würde nach Artikel 175 Absatz 2 EGV nicht mehr im Mitentscheidungsverfahren, sondern nur noch im Anhörungsverfahren beteiligt sein.
Damit würde ein Sprung von der stärksten zur schwächsten Form der Beteiligung des Parlaments vollzogen werden.
Warum sollten Europaabgeordnete sich für weniger Beteiligungsrechte des Parlaments einsetzen?
Der Hintergrund ist simpel: Nach Artikel 175 Absatz 2 EGV muss der Rat nämlich nicht wie in der Regel mit qualifizierter Mehrheit, sondern „einstimmig“ beschließen.
Das heißt, wenn nur einer der 27 Mitgliedstaaten im Rat sein Veto einlegt, kommt die Bodenschutzrichtlinie nicht zustande.
Darauf wird von Teilen der Abgeordneten, die die Bodenschutzrichtlinie als überflüssig ablehnen, spekuliert.
Sie sehen an diesem Beispiel, dass die Wahl der korrekten Rechtsgrundlage große Auswirkungen hat und auch im politischen Taktieren ausgenutzt werden kann.
Dies unabhängig davon, dass selbstverständlich ein europäischer Rechtsakt sich immer auf die korrekte Rechtsgrundlage stützen muss.

Lesung
Federführender / beratender Ausschuss
Als nächstes Stadium in unserem Gang durch das Gesetzgebungsverfahren möchte ich nun auf die erste Lesung im Parlament zu sprechen kommen.
Wenn der Vorschlag der Kommission beim Präsidium des Parlaments eingeht, legt das Präsidium zunächst fest, welche Ausschüsse des Parlaments sich mit dem Vorschlag befassen sollen.
Dabei werden ein federführender Ausschuss und gegebenenfalls weitere beratende Ausschüsse ausgewählt.
So wurde beispielsweise beim Verordnungsvorschlag Euro 5, der neuen Grenzwerte für den Schadstoffausstoß von PKW festlegt, der Umweltausschuss als federführender Ausschuss ausgewählt, der Binnenmarktausschuss als beratender Ausschuss.
Diese Auswahl ergibt sich aus den verschiedenen Kompetenzen der beiden Ausschüsse.
So ist der Umweltausschuss unter anderem zuständig für:
„1. die Umweltpolitik und Umweltschutzmaßnahmen, insbesondere:
die Verschmutzung der Luft, des Bodens und des Wassers, die Behandlung und Wiederverwertung von Abfällen, gefährliche Stoffe und Zubereitungen, Geräuschpegel, den Klimawechsel, den Schutz der Artenvielfalt, die nachhaltige Entwicklung, die internationalen und regionalen Maßnahmen und Übereinkommen zum Schutz der Umwelt, die Sanierung von Umweltschäden,
den Zivilschutz, die Europäische Umweltagentur“.

Der Binnenmarktausschuss ist zuständig für:
„Der Ausschuss ist unter anderem zuständig für:
die Koordinierung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften im Bereich des Binnenmarktes … insbesondere: den freien Warenverkehr, einschließlich der Harmonisierung technischer Normen, Maßnahmen mit dem Ziel der Feststellung und Beseitigung potenzieller Hindernisse für das Funktionieren des Binnenmarktes“.

Der Euro 5-Vorschlag fiel somit sowohl in die Zuständigkeit des Umweltausschusses als auch in diejenige des Binnenmarktausschusses.
In die Zuständigkeit des Umweltausschusses fiel er wegen des Ziels der Verringerung der Luftverschmutzung, in die Kompetenz des Binnenmarktausschusses fiel er, da er die technischen Normen festlegt, unter denen ein PKW künftig in Europa zugelassen werden kann.
Die Entscheidung über die beteiligten Ausschüsse kann bereits Weichen stellen, wenn ein Vorschlag wie im Euro5-Beispiel sowohl die Umwelt als auch die Industrie oder den Binnenmarkt stark betrifft.
Ein weiteres gutes Beispiel ist die stark umstrittene Verordnung zur neuen Chemikalienpolitik REACH gewesen.
Es ist von großer Bedeutung, ob die neue Chemikalienpolitik in einem Ausschuss behandelt wird, der den Schwerpunkt auf den Umweltschutz legt oder in einem Ausschuss, der die Interessen der europäischen Industrie besonders betont.

Bestimmung des Berichterstatters
Wenn der federführende Ausschuss bestimmt worden ist, muss ein Abgeordneter dieses Ausschusses zum Berichterstatter des Europäischen Parlaments ernannt werden.
Der Berichterstatter hat eine sehr herausgehobene Position im jeweiligen Verfahren: Er verfasst für das Parlament federführend den Bericht über den Vorschlag der Kommission.
Bevor er aber ernannt werden kann, müssen sich die Fraktionen im Ausschuss erst einmal einigen, welche Fraktion den Berichterstatter aus ihren Reihen stellen darf.
Dafür gibt es im Europäischen Parlament ein eigenes Punktesystem.
Jede Fraktion hat entsprechend ihrer Größe zu Beginn einer Wahlperiode in jedem Ausschuss eine bestimmte Anzahl von Punkten.
Diese Punkte kann sie wie bei einem Gesellschaftsspiel für das Recht einsetzen, den Berichterstatter zu stellen.
Je nachdem, wie wichtig der jeweilige Gegenstand der Gesetzgebung ist, kostet das die Fraktion 1 – 3 Punkte.
Das „Vorkaufsrecht“ wechselt reihum.
Das System gewährleistet in der Regel eine gerechte, an den Mehrheitsverhältnissen orientierte Verteilung der Berichterstatter.
Dass das Punktesystem nicht immer perfekt ist, zeigte sich bei den Verhandlungen im Umweltausschuss zur neuen Chemikalienverordnung REACH.
Als klar wurde, dass in wenigen Wochen der Vorschlag der Kommission für diese äußerst bedeutsame Verordnung offiziell ans Parlament übermittelt werden würde, nahmen alle Fraktionen reihum ihr Vorkaufsrecht nicht mehr wahr, da sie auf den REACH-Vorschlag warten wollten.
Auf diese Weise trat eine Blockade auf, da im Umweltausschuss für mehrere Wochen keine Berichterstatter mehr bestimmt werden konnten.
Die damalige englische Ausschussvorsitzende löste dieses Problem damit, dass sie in einer einmaligen Aktion einen Berichterstatter für REACH wählen lies, bevor der Vorschlag der Kommission überhaupt beim Parlament eingetroffen war.
Damit konnte sie die Fraktionen überraschen und die Blockade auflösen.
Nachdem entschieden ist, welche Fraktion den Berichterstatter stellt, wird fraktionsintern der jeweilige Berichterstatter bestimmt.
Dabei wird der Berichterstatter entweder von den so genannten Koordinatoren der Fraktionen bestimmt oder im Ausnahmefall von den Abgeordneten der Fraktion fraktionsintern gewählt.

Warum ist es so entscheidend, wer der Berichterstatter ist?
Ganz einfach: Auch hier wird eine entscheidende Weiche für die spätere Fassung des Rechtsaktes getroffen.
Wie wir noch sehen werden, schreibt der Berichterstatter nicht nur den ersten Entwurf für den Bericht des Parlaments.
Er koordiniert auch die Meinungsbildung innerhalb seiner Fraktion zu dem Thema, er führt die Verhandlungen mit den anderen Fraktionen und zu einem späteren Zeitpunkt auch mit dem Rat und nicht zuletzt ist er auch erster Ansprechpartner für die Presse für dieses Dossier.
Der Berichterstatter nimmt damit eine sehr bedeutsame Position im Rahmen des Verfahrens ein.
Und es mag pauschal klingen, ist aber häufig Tatsache bei Vorhaben im Umweltausschuss:
Wenn der Berichterstatter ein konservativer Abgeordneter aus Spanien ist, sieht der Bericht ganz anders aus, als wenn ihn ein schwedischer Grüner schreibt.
Was machen aber nun die anderen Fraktionen, die bei der Bestimmung des Berichterstatters leer ausgegangen sind?
Sie benennen so genannte Schattenberichterstatter, die das Dossier federführend für ihre Fraktion wie den Berichterstatter betreuen.
Für die Europäische Volkspartei war ich zum Beispiel Schattenberichterstatterin für die Revision der so genannten Feinstaubrichtlinie.
Um etwas mehr zu veranschaulichen, wie in der Praxis ein Berichterstatter oder Schattenberichterstatter vorgeht, möchte ich kurz darstellen, wie ich bei der Feinstaubrichtlinie vorgegangen bin.

Meinungsbildung der Abgeordneten am Beispiel der Feinstaubrichtlinie
Wenn man Schattenberichterstatterin geworden ist, braucht man in der Regel nicht lange zu warten, bis die ersten Anfragen von Lobbyisten für Gespräche über das Thema kommen.
Bei der Feinstaubrichtlinie habe ich auf der einen Seite mit Vertretern der Industrie gesprochen, mit Vertretern einzelner Industriezweige, die nationalen und Europäischen Verbänden und teilweise auch mit einzelnen Unternehmen.
Auf der anderen Seite habe ich mich mit Umweltverbänden, Naturschutzverbänden, Gesundheitsverbänden, Vertretern des Europäischen Umweltbüros oder mit NGOs getroffen.
Da die Feinstaubrichtlinie vor allem auch für die Kommunen von Bedeutung ist, habe ich in München einen Runden Tisch gebildet und mich mit Vertretern verschiedener Kommunen und Städte getroffen und über den Kommissionsvorschlag diskutiert.
Natürlich habe und halte ich auch weiterhin intensiven Kontakt mit dem bayerischen Umweltministerium, weiteren Umweltministerien der Länder und dem Bundesumweltministerium.
So habe ich über eine Stunde lang im Umweltministerium in Berlin mit Bundesminister Gabriel über die Richtlinie diskutiert.
Daneben haben wir im Parlament zwei so genannte Hearings zu dem Thema veranstaltet, bei dem Experten zu verschiedenen Punkten der Richtlinie ihre Position vorgetragen haben und von den Abgeordneten befragt werden konnten.
Im Vorfeld eines solchen Hearings gibt es ebenfalls häufig schon intensive Diskussionen zwischen den einzelnen Berichterstatter über die Frage, welche Experten eingeladen werden sollen.
Da wir uns bei der Feinstaubrichtlinie nicht auf ein gemeinsames Expertenpanel einigen konnten, organisierten zwei Fraktionen jeweils eigene Hearings.
Die Gespräche haben dabei zum Teil informativen Charakter, etwa wenn ich mich von einem Professor der Lungenheilkunde über die verschiedenen Auswirkungen der Luftverschmutzung aufklären lasse.
Natürlich gab es auch viele Gespräche, in denen mir jeweils erklärt wurde, warum diese Spezifizierung sinnvoll oder warum jene Formulierung problematisch wäre.
Sehr gute Erfahrungen habe ich mit der Methode gemacht, zwei Gesprächspartner mit konträren Meinungen zusammen zu bringen und sie sich gegeneinander argumentativ auseinander setzen zu lassen.
So konnte ich mir im Laufe der Zeit einen sehr guten Überblick über die verschiedenen Positionen verschaffen und einen Eindruck davon gewinnen, wie eine sinnvolle Linie für den Bericht aussehen könnte.

Exkurs: Einflussnahme von Interessenvertretern
An dieser Stelle halte ich es für interessant, kurz auf die Rolle von Interessenvertretern oder Lobbyisten einzugehen.
Dabei möchte ich vorwegschicken, dass der Begriff Lobbying, also der Versuch von Interessenvertretern, Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen, im Unterschied zum Deutschen in den meisten anderen europäischen Sprachen nicht negativ besetzt ist.
Dies spiegelt sich auch in der Rolle der Lobbyisten in Brüssel wieder.
So sind in Brüssel rund 15.000 Lobbyisten tätig, in Deutschland beträgt ihre Zahl im Vergleich dazu nur etwa 2000.
Im Europäischen Parlament ist Lobbying grundsätzlich willkommen, da die Interessenvertreter verschieden Perspektiven in die Diskussion einbringen, insbesondere derer, die von der Richtlinie letztlich betroffen sind.
So ist es nach der Feinstaubrichtlinie die Pflicht der Kommunen, Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität zu ergreifen.
Daher ist ihre Meinung natürlich für mich interessant.
Andererseits ist schlechte Luft in den Städten gerade für Kinder besonders schlimm.
Daher habe ich mich auch mit Vertretern getroffen, die die Anliegen der Kinder besonders im Auge hatten.
Der positivere Ruf, den Lobbying in Brüssel im Vergleich zu Berlin genießt, liegt sicher auch darin begründet, dass die personelle Ausstattung der EU Organe und die Masse an Legislativvorhaben eine intensive Themenrecherche durch den einzelnen Abgeordneten nur in wenigen Fällen, wie zum Beispiel als Berichterstatter, zulassen.
Durch Lobbyisten beigebrachte themenbezogene Informationen sowie Hintergrundwissen sind daher für viele Abgeordnete eine gern gesehene Ergänzung.

Um Missbrauch zu vermeiden, gibt es dabei eine Reihe von Regeln und Etiketten.
So kommt in der Regel der Interessenvertreter zum Abgeordneten ins Parlament und schickt am besten vorher ein kurzes Positionspapier, in dem sie ihre Ansichten festgehalten haben.
Allerdings hat der zuständige Kommissar Siim Kallas auf europäischer Ebene eine Transparentinitiative gestartet, um das Lobbying in Brüssel transparenter zu gestalten.
Dazu möchte er drei Mittel einsetzen:
Er möchte ein von der Kommission „verwaltetes Registrierungssystem auf freiwilliger Basis einführen, das für Lobbyisten Anreize zur Registrierung bietet.
Dies schließt beispielsweise ein, dass Lobbyisten jedes Mal informiert werden, „wenn eine Konsultation zu ihren Interessenschwerpunkten vorgesehen ist“.
Weiterhin will der Kommissar einen gemeinsamer Verhaltenskodex für alle Lobbyisten erstellen, welcher von den Lobbyisten selbst entwickelt wird.
„Ein Überwachungs- und Sanktionssystem einführen, das bei unrechtmäßiger Registrierung und/ oder Verstoß gegen den Verhaltenskodex angewendet wird.
Ob dieser Vorstoß erfolgreich sein wird, bleibt abzuwarten.

Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich sagen, dass ich bislang in der überwiegenden Anzahl positive Erfahrungen mit Lobbyisten gemacht habe.
Sehr schnell zeigt sich auch für einen Abgeordneten, mit welchen Lobbyisten er gut zusammenarbeiten kann.
Zu einer guten Zusammenarbeit gehören für mich vor allem Ehrlichkeit und eine umfassende Informierung über die Themen, die auch die Darstellung und Erläuterung der Gegenposition beinhaltet.
Diese gewisse Objektivität ist für Lobbyisten sicher nicht immer einfach, da sie je schließlich ihren Gesprächspartner von einer bestimmten Meinung, nämlich ihrer überzeugen wollen.
Ein guter Lobbyist schafft aber auch dies.

Nach diesem kurzen Exkurs geht es zurück zum Gesetzgebungsverfahren.
Nach einigen Wochen und dutzenden von Gesprächen kommt es im Umweltausschuss zunächst zur ersten Aussprache über die neue Feinstaubrichtlinie.
Hier teilt zunächst der Berichterstatter seine erste Einschätzung dem Ausschuss mit und skizziert, wo er am Vorschlag der Kommission Änderungen für sinnvoll hält.
Jetzt zeigt sich zum ersten Mal öffentlich, welcher Abgeordnete sich intensiv an dem Gesetzgebungsverfahren und der Debatte beteiligt.
Auch werden hier erste Positionen deutlich und es lässt sich abschätzen, wie umkämpft der Bericht im Ausschuss sein wird.
Natürlich wird auch für die Interessenvertreter deutlich, welchen Abgeordneten sie überzeugen und welchen sie nicht für ihre Position gewinnen konnten.
Neben den Abgeordneten äußert sich in der Regel auch die Kommission in der Debatte und verteidigt ihren Richtlinievorschlag gegen Kritik, beantwortet aber auch Fragen der Abgeordneten.

Nach der ersten Aussprache fertig der Berichterstatter einen ersten Entwurf seines Berichts an und gibt ihn zur Übersetzung in die 23 Amtsprachen und drei Schriftarten Lateinisch, Griechisch und Kyrillisch.
Dies ist eine intensive Arbeit, denn es kommt auf jede Formulierung an, mit der man den Text der Kommission ändern will.
In der folgenden Aussprache im Ausschuss über den Berichtentwurf wird deutlich, inwieweit der Berichterstatter für seine Position eine Mehrheit im Ausschuss finden kann.
Bei der Luftqualitätsrichtlinie konnte ich dem liberalen Berichterstatter in vielen Punkten zustimmen, in einigen lagen unsere Vorstellungen auseinander.
In der Aussprache wird auch die Frist für die Einreichung von Änderungsanträgen festgelegt, bis zu der alle Abgeordneten Änderungen zum Berichtsentwurf vorschlagen können.
Wenn die Frist abgelaufen ist und alle Änderungsanträge in die Amtssprachen übersetzt sind, zeigt sich, wie weit die Positionen der einzelnen Abgeordneten und Fraktionen noch auseinander liegen.

Bei der Feinstaubrichtlinie war vor allem die Position der niederländischen Schattenberichterstatterin für die sozialistische Fraktion sehr von der des liberalen Berichterstatters und meiner eigenen entfernt.
Jetzt beginnt die Zeit der intensiven Verhandlungen innerhalb der eigenen Fraktion und mit den anderen Berichterstattern um Kompromisse.
Hier ist Verhandlungsgeschick und gutes Taktieren erforderlich.
Dabei trifft man sich in Arbeitsgruppen mit allen Berichterstattern oder auch zu Einzelgesprächen.

Wichtig ist auch, innerhalb der Fraktion eine geschlossene Position zu finden.
Wenn man sich vor Augen führt, dass in der EVP-Fraktion Abgeordnete aus 27 Mitgliedstaaten sitzen und beispielsweise die italienischen Abgeordneten der EVP-Fraktion aus vier verschiedenen nationalen Parteien stammen, bekommt man ein Gefühl dafür, wie schwierig manchmal bereits die Kompromissfindung in der eigenen Fraktion ist.
Ich möchte auch gerne zugeben, dass ich bei der Feinstaubrichtlinie sehr für eine gemeinsame Position in meiner Fraktion kämpfen musste und vor allem ein schwedischer Kollege lange Zeit eine deutlich abweichende Position hatte.
Wenn die Aussprache über die Änderungsanträge im Ausschuss erfolgt ist, sind es meist nur noch wenige Tage bis zur Abstimmung im Umweltausschuss.
Jetzt herrscht noch einmal Hochkonjunktur bei der Kompromissfindung!
Viele Kompromisse werden in letzter Minute geschlossen und wenige Stunden vor der entscheidenden Abstimmung auf die Abstimmungsliste gesetzt.
In der Abstimmung zeigt sich dann, ob die Arbeit erfolgreich war und die Kompromissanträge von der Mehrheit der Abgeordneten angenommen werden.
Bei der Feinstaubrichtlinie ist uns dies gelungen.

Exkurs: Bedeutung von Kompromissen
An dieser Stelle möchte ich kurz darauf eingehen, wieso im Europäischen Parlament so stark um Kompromisse gerungen wird, mehr als zum Beispiel im Deutschen Bundestag.
Dies liegt an der Struktur des Gesetzgebungsverfahrens.
Im Bundestag kann eine stabile Mehrheit im Gesetzgebungsverfahren in der Regel die parlamentarische Minderheit auch mit einer Stimme Mehrheit überstimmen.
Beim Europäischen Parlament steht immer noch der Rat als zweites Gesetzgebungsorgan auf der anderen Seite.
Wie wir gleich sehen werden, bedarf es in zweiter Lesung der absoluten Mehrheit der Abgeordneten, um sich gegen den Rat durchzusetzen.
Ein Abstimmungssieg mit knapper Mehrheit wäre daher nur ein kurzer Triumph.
Zudem ist die Kompromissfindung wesentlich aufwendiger als im Bundestag, da aufgrund der bereits geschilderten Heterogenität der einzelnen Fraktionen und den verschiedenen nationalen Interessen ein Fraktionszwang erheblich schwieriger durchzusetzen ist.

Abstimmung im Plenum
Die erste Lesung im Parlament findet ihren Abschluss mit der Abstimmung im Plenum.
Bei der Feinstaubrichtlinie fand daher in Straßburg im Plenum die Debatte statt, auf der zunächst der Berichterstatter, dann alle Schattenberichterstatter und dann weitere interessierte Abgeordnete sprechen.
Wie in Straßburg üblich, findet die Abstimmung nicht gleich nach der Debatte statt, sondern am darauf folgenden Tag in einem Abstimmungsblock.
Wie erhofft, hatten die Kompromisse, die ich mit den anderen Berichterstattern für den Umweltausschuss geschlossen und teilweise für die Plenarabstimmung noch nachgebessert hatte, die deutliche Zustimmung der Abgeordneten.
Im Vergleich zum Verfahren im Ausschuss gilt dabei, dass Änderungsanträge zu Berichten nicht nur innerhalb des Ausschusses, sondern auch für die Plenarabstimmung gestellt werden dürfen und zwar noch bis 12.00 Uhr am Mittwoch vor der Plenartagung.
Für die Einreichung gelten allerdings strengere Regeln als für die Ausschussabstimmungen.
Erstens darf nur eingebracht werden, was im Ausschuss bereits Thema war, also nichts komplett Neues.
Zudem müssen Änderungsanträge schriftlich eingereicht und von mindestens 40 Mitgliedern oder von einer Fraktion als Ganzes unterstützt bzw. unterschrieben werden.

Im Anschluss an die Abstimmung leitet das Parlament seine Position mit den Änderungen des Kommissionsvorschlags an den Rat und an die Kommission weiter.
Die Kommission teilt daraufhin kurzfristig dem Parlament mit, welche Änderungen des Parlaments sie vollständig, prinzipiell oder gar nicht übernehmen kann.
Auf dieser Basis legt die Kommission einen geänderten Vorschlag vor.
Rechtlich hat dieser geänderte Vorschlag aber nur zur Folge, dass der Rat über Änderungen des Parlaments, die die Kommission ablehnt, einstimmig beschließen muss, wenn er sie trotzdem annehmen will.

Der Gemeinsame Standpunkt des Rates
Bereits während der Verhandlungen und Debatten im Parlament haben sich auch die Vertreter der Mitgliedstaaten im Rat mit dem Kommissionsvorschlag befasst.
Nachdem das Parlament sine Position verabschiedet hat, beschließt der Rat seinen so genannten Gemeinsamen Standpunkt.
Darin teilt er mit, welche Änderungsanträge des Parlaments er teilweise bzw. oder vollkommen akzeptieren kann.
Bei der Feinstaubrichtlinie hat der Rat eine große Anzahl von unseren Änderungsanträgen komplett oder teilweise akzeptiert.
Der Gemeinsame Standpunkt des Rates ist nun die Textgrundlage für die weiteren Verhandlungen und Änderungen des Parlaments.

2. Lesung
Nach der offiziellen Übermittlung des Gemeinsamen Standpunktes an das Parlament beginnt mit der Verkündung der Übermittlung durch den Parlamentspräsidenten die 2. Lesung.
Damit beginnt eine Frist von drei Monaten, in denen das Parlament jetzt eine Stellungnahme zum Gemeinsamen Standpunkt verabschieden muss.
Im Unterschied zur ersten Lesung gibt es in der zweiten Lesung nur noch einen zuständigen Ausschuss und keine beratenden mehr.
In der ersten Aussprache im Ausschuss geben die beteiligten Berichterstatter und Schattenberichterstatter eine erste Einschätzung des gemeinsamen Standpunkts ab und machen Vorschläge für die weitere Strategie des Ausschusses.
Entscheidend ist in dieser Phase vor allem, was nach den Positionen von Kommission und Rat in der zweiten Lesung für das Parlament machbar ist und was nicht.
Bei der Feinstaubrichtlinie befinden wir uns derzeit kurz vor dem offiziellen Startschuss zur zweiten Lesung.
Der Gemeinsame Standpunkt des Rates ist zwar verabschiedet, wurde dem Parlament aber noch nicht offiziell übermittelt.
Dennoch haben sich alle Schattenberichterstatter auf Einladung des Berichterstatters bereits getroffen, um die Positionen für die zweite Lesung auszutauschen.
Zu diesem Zeitpunkt haben alle drei am Gesetzgebungsverfahren maßgeblich beteiligten Institutionen ihre Karten auf den Tisch gelegt.
Jetzt gilt es auszuloten, welche Spielräume für Änderungen für das Parlament noch bleiben.
Entscheidender Unterschied zur ersten Lesung ist, dass bei der Endabstimmung im Plenum nur diejenigen Änderungen des Parlaments am Gemeinsamen Standpunkt, die mit der absoluten Mehrheit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments von 393 Stimmen beschlossen worden, als angenommen gelten.
Zudem dürfen Änderungsvorschläge, die in der ersten Lesung im Plenum keine Mehrheit gefunden haben, nicht wieder in die Diskussion eingebracht werden.
Dadurch sind die Änderungsmöglichkeiten in der zweiten Lesung begrenzter als in der ersten.
Zudem hat ja auch der Rat durch seinen Gemeinsamen Standpunkt bereits deutlich gemacht, welche Änderungen des Parlaments er tragen könnte und welche nicht.
Der begrenztere Änderungsspielraum zusammen mit dem Erfordernis der absoluten Mehrheit führen in der Regel dazu, dass in der zweiten Lesung die Bereitschaft unter den Abgeordneten zur Zusammenarbeit und der Zusammenhalt größer ist als in der ersten Lesung.
Es gilt jetzt in der Regel, gegen den „Gegenspieler“ Rat möglichst viele Änderungen des Parlaments durchzusetzen.
Bei der kommenden zweiten Lesung über die Feinstaubrichtlinie gilt es darüber hinaus für alle Fraktionen, die Änderungen des Rates, die man unterstützen kann, die aber vielleicht im Parlament keine Mehrheit gefunden haben, in der Debatte möglichst nicht anzutasten.

Abstimmung im Ausschuss
Die Debatte und Abstimmung im Ausschuss in der zweiten Lesung verläuft im Prinzip wie diejenige der ersten Lesung mit den bereits erwähnten Einschränkungen bei den Änderungsanträgen.
Hier gibt das Parlament einen ersten Fingerzeig an den Rat, wie geschlossen es gegen welche Punkte im Gemeinsamen Standpunkt vorgehen will.
Nach der Abstimmung im Ausschuss finden bis zur Plenarabstimmung wie in der ersten Lesung ebenfalls intensive Kompromissverhandlungen statt.
Allerdings mit einer entscheidenden Änderung:
In der zweiten Lesung finden die Kompromissverhandlungen nicht hauptsächlich innerhalb des Parlaments zwischen den Berichterstattern der verschiedenen Fraktionen statt.
Jetzt finden die Verhandlungen mit dem Rat, bzw. mit der Delegation der momentanen Ratspräsidentschaft statt.
Dazu beginnt gleich nach der Abstimmung ein so genannter informeller Trilog mit dem Rat und der Kommission, um das Gesetzgebungsverfahren möglichst schon nach der 2. Lesung verabschieden zu können.
Mehrere informelle Treffen zwischen dem Berichterstatter, den Schattenberichterstattern, Vertretern der Kommission und der Ratspräsidentschaft finden in dieser Phase in kurzer Zeit statt.
Vor allem der Berichterstatter steht jetzt in regelmäßigem, engen Kontakt mit dem Rat.
Ziel ist es, ein so genanntes „Second Reading Agreement“ zu erreichen.
Dies bedeutet, sich im Rahmen der zweiten Lesung zwischen der Abstimmung im Ausschuss und der Plenarabstimmung mit dem Rat auf einen endgültigen Gesetzestext zu einigen.
Dieser Kompromiss zwischen Rat und Parlament wird dann für die Plenarabstimmung als Änderung zum Gemeinsamen Standpunkt zur Abstimmung gestellt.
Wird er im Plenum angenommen, kann der Rat diesem Kompromisspaket anschließend ohne weitere Änderungen zustimmen.
Dadurch wird ein zügiger Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens erreicht und vor allem das ansonsten erforderliche Vermittlungsverfahren vermieden.
Das Vermittlungsverfahren ist vor allem wegen der Unvorsehbarkeit des Endergebnisses weder beim Rat noch beim Parlament geschätzt.
Daher bemühen sich alle Akteure, möglichst bereits während der zweiten Lesung einen Kompromiss zu finden
Hier kommt es wieder auf Geduld und Verhandlungsgeschick an.
Alle Akteure legen bei Treffen Kompromissvorschläge vor, beraten sich mit ihren Delegationen und legen neue Kompromissvorschläge vor.
Im Idealfall kommt der Kommission dabei die Rolle des Vermittlers zwischen Rat und Parlament zu.

Bei der Feinstaubrichtlinie hoffen wir auf die Verhandlungsführung der deutschen Ratspräsidentschaft.
Sollten die Verhandlungen erfolgreich sein, könnte ein Kompromisspaket erarbeitet werden, das nach der Plenardebatte und der darauf folgenden Abstimmung ohne weitere Änderungen von Rat akzeptiert wird.
Damit die politische Einigung des informellen Trilogs verabschiedet werden kann, übermittelt das Parlament den im Plenum angenommenen Kompromiss wieder an den Rat.
Nach einer Prüfung durch den juristischen Dienst und den Sprachdienst der EU stimmt der Rat den Kompromissvorschlägen ebenfalls zu.
So kann der Gesetzakt am Tag ihres Erscheinens im Amtsblatt der Europäischen Union offiziell in Kraft treten.

Mit dem erfolgreichen Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens bin ich am Ende meines Vortrags angekommen.
Ich hoffe, dass Sie einen plastischen Eindruck von einem Teilbereich der Tätigkeit eines Europaabgeordneten gewinnen konnten.
Ich bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit und stehe Ihnen nun gerne für Fragen zu Verfügung.
Vielen Dank!