Eröffnungsrede zur Dienstleistungsmesse "b2d - business to dialog"

Meine sehr geehrten Damen und Herren.
Mehr Wissen, mehr Wettbewerb, mehr Wohlstand – Unternehmen Europa“.
Dies ist der thematische Rahmen dieses heutigen Nachmittags.
Es freut mich, dass Sie dazu so zahlreich erschienen sind.
Ich möchte zu jedem der vier Punkte dieses Themas einige Worte sagen und versuchen, sie in einen Zusammenhang zueinander zu stellen.

Mehr Wissen.
Die Lissabon-Strategie hat zum Ziel, Europa zum wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen.
Die Entwicklung einer europäischen Wissensgesellschaft steht daher im Mittelpunkt der Bemühungen, diese Zielvorgabe zu erreichen.
Der Begriff Wissensgesellschaft verweist auf die wissensbasierte Verfasstheit der modernen Gesellschaft.
In ihr ist Wissen zur zentralen Voraussetzung gesellschaftlicher Entwicklung und zur wichtigsten Produktivkraft geworden.
Denn Fortschritt und wirtschaftliche Kraft entspringen heute aus Innovation, Wissen und Bildung.
Die Europäische Union hat dies erkannt und fördert die Entwicklung einer europäischen Wissensgesellschaft.
Als Schlagworte diesbezüglich möchte ich die Begriffe Life-long-learning, Bologna-Prozess, Informationsgesellschaft und das Forschungsrahmenprogramm nennen.
In all diesen Bereichen entwickelt die EU Ideen und Projekte, regt zum positiven Wettstreit unter den europäischen Staaten an und eröffnet Fördermöglichkeiten.
Gerade für Deutschland sehe ich diese Entwicklung sehr positiv.
Denn unser Kapital ist unser Wissen – unser Know-how.
Deshalb freut es mich, dass durch den erreichten Kompromiss zum EU-Haushalt 2007 bis 2013 Bildung und Forschung auf weiterhin hohem Niveau mit europäischen Fördermitteln unterstützt und fortentwickelt werden können.
Aber die Verantwortung darf – das muss ich auch in aller Deutlichkeit sagen – nicht alleine auf den Schultern der EU lasten.
Im Gegenteil – gerade in den Mitgliedstaaten müssen ebenfalls Anstrengungen unternommen werden, die Wissensgesellschaft zu verwirklichen.
Wir müssen langfristig 3% des BIP für Bildung und Forschung aufwenden.
Bayern geht hier mit gutem Beispiel voran.
Es werden in diesem Jahr wieder mehr Lehrer eingestellt und durch notwendige Strukturmaßnahmen wird die finanzielle Lage der Hochschulen verbessert.

Kommen wir nun zum zweiten Punkt.
Mehr Wettbewerb.
Meine Damen und Herren, Wettbewerb – gerade im Bezug auf die Staaten Mittel- und Osteuropas – wird zunehmend als Bedrohung empfunden.
Das ist meiner Meinung nach nicht in dieser Dimension gerechtfertigt.
Wer Angst vor dem Wettbewerb hat, der hat schon verloren, bevor er überhaupt begonnen hat.
Ein herausragendes Beispiel für diese Angst ist die Diskussion um die umstrittene und oft falsch verstandene EU-Dienstleistungsrichtlinie.
Wir haben in Deutschland eine der stärksten Dienstleistungsbranchen der Welt.
Gerade bei komplexeren Dienstleistungen, für die hohe Qualifikationen, technisches Verständnis und Know-how erforderlich sind, müssen sich die anderen an uns messen lassen.
Und dennoch ist Deutschland Nettoimporteur für Dienstleistungen.
Warum? Woran liegt das?
Das liegt daran, dass es für ausländische Anbieter viel leichter ist, hier in Deutschland Dienstleistungen anzubieten, als anders herum.
Wir haben ein sehr liberales Gewerberecht.
Rot-Grün hat den Meisterzwang in über 50 Handwerksberufen abgeschafft.
Und gleichzeitig bauen die Staaten um uns herum hohe Hürden für unsere deutschen Dienstleistungserbringer auf.
In Frankreich brauchen Sie spezielle Versicherungen – die aber nur an französische Unternehmen verkauft werden.
In Belgien brauchen Sie für Baufahrzeuge einen Sonder-TÜV – obwohl der deutsche TÜV höhere Standards prüft.
In den Niederlanden brauchen sie ein Fahrzeug mit niederländischem Kennzeichen, wenn Sie gewerblich tätig sein wollen.
Genau diesen Diskriminierungen will die EU ein Ende machen.
Und unser Instrument dazu ist die Dienstleistungsrichtlinie.
Es hat zu diesem Gesetzesvorhaben eine Vielzahl von Äußerungen und Veröffentlichungen gegeben, die nicht immer förderlich für den konstruktiven Dialog waren.

Ich möchte dieses Thema – stellvertretend für die Anstrengungen der EU für einen gesunden Wettbewerb in Europa – daher kurz näher beleuchten.
Die EU hat mit der Dienstleistungsrichtlinie das sprichwörtliche Rad nicht neu erfunden.
Denn die Dienstleistungsfreiheit steht im EG-Vertrag.
Sie existiert schon, wird in der Praxis aber fast nirgends ernsthaft umgesetzt.
Die Richtlinie, die wir im Moment diskutieren, soll als sekundärrechtliche Regelung Rechtssicherheit für die Unternehmen, aber auch die Behörden schaffen und die Dienstleistungsfreiheit als Gesamtes in geordnete Bahnen lenken.
Deutschland braucht eine Liberalisierung des Dienstleistungssektors, meine Damen und Herren.
Wir werden mehr als andere Staaten davon profitieren können.
Wir sind besser.
Deshalb brauchen wir den Wettbewerb nicht zu scheuen.
Deshalb müssen wir die Dienstleistungsrichtlinie als Chance begreifen.
In den meisten westeuropäischen Staaten – besonders aber in Deutschland – hat dieser Richtlinienentwurf aber wieder einmal ausschließlich für Ängste gesorgt.
Von Lohn- und Sozialdumping war die Rede – vom Ende des Sozialstaats und vielem mehr.
Dabei war von Anfang an klar, dass die nationalen Arbeits- und Sozialgesetze nicht von der Richtlinie berührt werden.
Und das Europäische Parlament hat frühzeitig signalisiert, dass es maßgebliche Änderungen beim Anwendungsbereich und bei den strittigen Klauseln herbeiführen wird.
In diesem Sinne sind dann auch die Abstimmungen – schon im Oktober 2005 im Binnenmarktausschuss und schließlich im Februar im Plenum – erfolgt.
Wir haben eine Reihe von Dienstleistungsbranchen komplett aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie herausgenommen.
Dazu zählen: Zeit- und Leiharbeit, Lotterien, Rundfunk und Fernsehen, hoheitliche Aufgaben, die engere Daseinsvorsorge und einige mehr.

Außerdem haben wir den Vorrang der Entsenderichtlinie, der nationalen Arbeits- und Sozialgesetze, die Wahrung gewerkschaftlicher Rechte und die Streichung des ursprünglichen Herkunftslandsprinzips beschlossen.
Demnach kann nun aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, des Umweltschutzes, des Gesundheitsschutzes und der sozialen Sicherheit die Dienstleistungsfreiheit zugunsten der nationalen Regelungen eingeschränkt werden.
Die Kontrollrechte der Mitgliedstaaten wurden ausgeweitet und gestärkt.
Damit haben die nationalen Regierungen alle Werkzeuge in der Hand, Missbrauch zu bekämpfen und zu verhindern.
Insgesamt hat das Europäische Parlament einen guten Ausgleich gefunden zwischen dem Schutz unserer nationalen Sozialstandards und der notwendigen Öffnung der Dienstleistungsmärkte.
Rat und Kommission haben übereinstimmend erklärt, dass sie sich in den wichtigen Punkten an die Beschlüsse des Parlaments halten werden.
Das zeigt die gestärkte Stellung des Europäischen Parlaments im Institutionengefüge der EU, ist Zeichen einer deutlichen Parlamentarisierung der EU und macht deutlich, wie die Dienstleistungsrichtlinie grundsätzlich aussehen wird.
Der Binnenmarkt für Waren hat Deutschland zum Exportweltmeister für Waren gemacht.
Über zwei Drittel unserer Exporte gehen in die EU-Staaten.
Das entspricht einem Gesamtvolumen von 600 Milliarden Euro pro Jahr, meine Damen und Herren.
Der Binnenmarkt für Dienstleistungen – so wie wir ihn nun schaffen wollen – wird Deutschland die Möglichkeit eröffnen, auch im Dienstleistungssektor Exportweltmeister zu werden.

Und damit sind wir beim dritten Punkt unseres heutigen Themas:
Mehr Wohlstand.
Die europäische Einigung bedeutet inzwischen mehr als 60 Jahre Frieden in Europa.
Allein dieser Frieden hat es unserer Wirtschaft erlaubt, zu wachsen und den Menschen Wohlstand zu bringen.
Deutschland hat – gerade nach dem 2. Weltkrieg – von der europäischen Integration stärker profitiert als seine Nachbarn.
Die EU ist der Garant für unseren Wohlstand.
Und auch unser zukünftiger Wohlstand wird eng mit dem Erfolg der europäischen Integration zusammenhängen.
Niemand will in Abrede stellen, dass wir vor den größten Herausforderungen in der Geschichte der Bundesrepublik stehen.
Die europäische Einigung wird uns die Pflicht zu notwendigen Reformen in Deutschland nicht nehmen.
Aber die großen Herausforderungen unserer Zeit wie der demographische Wandel, der Klima- und Umweltschutz, die Energieversorgung und die Migration sind keine nationalen Phänomene.
Sie geschehen europaweit.
Und in vielen Bereichen sind nur europäische Lösungen mittel- und langfristig zielführend.
Nicht jedes Problem in Europa bedeutet gleichzeitig eine Aufgabe oder einen Handlungsauftrag für die EU.
Aber in den strategischen Fragen werden wir um gemeinsame Lösungsansätze nicht herum kommen.
Der Dialog – gerade mit den mittel- und osteuropäischen Staaten –, den wir in der EU führen, wird uns auf Dauer weiter bringen als Wettbewerb gegeneinander.
Deshalb hat uns die EU in der Vergangenheit Wohlstand gebracht.
Und, meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, dass uns die EU auch in der Zukunft dabei unterstützen wird, weiterhin Wohlstand zu erreichen.
Lassen Sie mich hier eine kurze Zwischenbilanz dessen ziehen, was ich bisher ausgeführt habe.
Wir brauchen mehr Bildung und Wissen, um Innovation zu fördern.
Diese Innovation erlaubt es uns, im Wettbewerb zu bestehen und sorgt für Wachstum.
Und dieses Wachstum wiederum sichert unseren Wohlstand.
Letztendlich wie in einem erfolgreichen Unternehmen.
Dem Unternehmen Europa – Fragezeichen?

Womit wir beim letzten der vier Punkte wären, meine Damen und Herren.
Die Europäische Union hat als Wirtschaftsgemeinschaft begonnen.
Und viele Entscheidungsträger sehen sie heute noch so.
Doch – und dies ist meine Überzeugung – wir sind über dieses Stadium bereits weit hinaus.
Ich will eine politische Union – einen Zusammenschluss der europäischen Völker, der mehr ist als nur eine wirtschaftliche Leistungsbilanz.
Und die Bürgerinnen und Bürger wollen dies auch.
Der Rückschlag nach den negativen Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden darf uns darüber nicht hinwegtäuschen.
Als Freihandelszone wird Europa nicht zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum werden.
Wir werden nur dann eine führende Rolle in der Welt einnehmen können, wenn wir uns auch auf gemeinsame Wurzeln, gemeinsame Kulturbereiche, gemeinsame Bildungsansätze und eine europäische Identität stützen können.
Denn auch der Wohlstand, den wir für Europa möchten, ist mehr als wirtschaftliche Sicherheit.
Das Unternehmen Europa muss einer von vielen wichtigen Bestandteilen unseres zukünftigen Europas sein.
Motor für Innovation, Wissen, Wettbewerb und Wohlstand – aber nicht das gesamte Auto, um es bildhaft auszudrücken.
Und damit haben wir wieder alle unsere thematischen Ansätze des heutigen Nachmittags vereint.
Ich setze mich für dieses Europa ein.
Ich lade Sie ein, es mir gleich zu tun.
Als Unternehmer, aber auch als Bürgerinnen und Bürger tragen Sie dafür jeder sein eigenes Stück Verantwortung.
Wir haben bereits viel erreicht.
Es bleibt aber noch viel zu tun.
Dass wir heute in diesem großen Kreis darüber diskutieren, zeigt Ihr Interesse und Ihr Engagement.
Dafür danke ich Ihnen.
Und ich danke Ihnen auch für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank.