Fachvortrag zum Bologna-Prozess

Eines vorne weg: Eine lebendige Wissenschafts- und Forschungslandschaft ist ein Kernpfeiler des europäischen Selbstverständnisses.
Als Europaabgeordnete begrüße ich deshalb die Schaffung eines europäischen Hochschulraumes auf Grundlage der Bologna-Erklärung.
Die Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Europa agieren in einem immer stärker von der Globalisierung geprägten Umfeld.
Es ist gekennzeichnet durch einen zunehmenden Wettbewerb um die größten Talente sowie durch die Entstehung neuer Anforderungen, auf die die Universitäten reagieren müssen.
In diesem Umfeld leistet der Bologna-Prozess einen wichtigen Beitrag zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit Europas.

Geschichte des Prozesses
In den 1990er Jahren wurde von der EU eine Initiative gestartet, das Hochschulwesen in Europa zu harmonisieren.
Die Hauptziele wurden in einer Erklärung der EU-Bildungsminister am 19. Juni 1999 in Bologna festgelegt:
die Schaffung eines Systems leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse, auch durch die Einführung des Diplomzusatzes (Diploma Supplement);
die Schaffung eines zweistufigen Systems von Studienabschlüssen (undergraduate/graduate, Bachelor und Master);
die Einführung eines Leistungspunktesystems, dem European Credit Transfer System (ECTS) und Modularisierung;
die Förderung der Mobilität durch Beseitigung von Mobilitätshemmnissen - dies meint nicht nur räumliche Mobilität, sondern auch kulturelle Kompetenzen, Mobilität zwischen Hochschulen und Bildungsgängen oder lebenslanges und lebensbegleitendes Lernen (life-long learning);
Qualitätssicherung der Hochschul-Ausbildung durch Akkreditierung der Studiengänge, Förderung der europäischen Zusammenarbeit bei der Qualitätssicherung;
die Förderung der europäischen Dimension in der Hochschulausbildung.

Die Vorbereitung und Umsetzung dieser Erklärung wird als Bologna-Prozess bezeichnet.
Aber: Der Bologna-Prozess und die sich anschließenden Berliner und Prager Erklärungen sind entgegen mancher Darstellung keine verbindlich getroffenen Verträge oder Absprachen, sondern unverbindliche Absichtserklärungen der beteiligten Staaten.
Das ist auch das Problem des Prozesses, das ihn an manchen Stellen lähmt.
Dennoch beteiligen sich inzwischen 40 Länder am Bologna-Prozess, so dass diese Entwicklung weit über die 25 EU-Länder hinaus geht.
Für die EU als Kernregion des Prozesses ist er von zentraler Bedeutung.
Weil er aber so wichtig ist, müssen wir die Absichterklärungen weiter entwickeln, profilieren und differenziert diskutieren!
Auch die Studierenden müssen mehr erfahren über "Bologna" - für viele noch kein Begriff.
RCDS beschäftigt sich mit der Thematik - mitgestalten an der Zukunft der Bildung.
Die große Chance, das große Ziel: In Verbindung mit dem im Jahr 2000 deklarierten Europäischen Forschungsraum soll Europa zur wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wissensgesellschaft der Welt gemacht werden (Lissabon-Prozess).
Hochschulraum und Forschungsraum sind die beiden Säulen für das Europa des Wissens. Hier lagern die wertvollsten Rohstoffe Europas.
Das Kommuniqué der Bolgna-Folgekonferenz von Berlin 2003 spricht davon, dass die Hochschulen in die Lage versetzt werden müssen, selbst über ihre interne Organisation und Verwaltung zu entscheiden.
Mehr Freiheit für die Hochschulen bedeutet mehr Wettbewerb, und mehr Freiheit kann besseres Lernen ermöglichen.
Der Bologna-Prozess ist grundsätzlich geleitet von mehreren Zielen, die ihr wohl schon kennt. Sie hängen eng zusammen:
Schaffung eines Systems leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse,
Schaffung eines zweistufigen Systems von Studienabschlüssen,
Einführung eines Leistungspunktesystems ECTS,
Förderung der Mobilität,
Förderung der europäischen Zusammenarbeit durch Qualitätssicherung,
Förderung der europäischen Dimension in der Hochschulausbildung,
lebensbegleitendes Lernen.
Auf der Bologna-Folgekonferenz in Berlin im September 2003 wurden außerdem die Anwendung gestufter Studienstrukturen und eine wirksame Qualitätssicherung als mittelfristige Prioritäten ausgegeben.
Die gestuften Studiengänge werden am häufigsten mit dem Bologna-Prozess in Verbindung gebracht.
Die europäischen Bildungsminister haben sich auf der Bologna-Folgekonferenz in Berlin 2003 verpflichtet, mit der Umsetzung dieses Systems bis 2005 begonnen zu haben.
Wir, die CSU, unterstützen und fördern das - aber wir wollen es wieder differenzierter sehen! Beispiel: Staatsexamen und Diplom-Ingenieure, dazu später.
All diese formalen Veränderungen schaffen nur einen neuen Rahmen, zentral aber sind die inhaltlichen Veränderungen:
Ein Bachelor wird künftig der erste berufsqualifizierende Abschluss sein.
Wir müssen deshalb fordern und garantieren, dass damit - grenzübergreifend verbindlich - bestimmte Kenntnisse und Fertigkeiten vorhanden sind, die zur Berufsausübung befähigen:
selbstverständlich fachliches Grundwissen, methodische Kenntnisse, um Probleme lösen zu können, soziale Fähigkeiten und die Kompetenz, sich ständig neue Inhalte zu erschließen.
Mit all den Änderungen verbindet sich eine weit reichende organisatorische und inhaltliche Reform der Studiengänge, die zu einer stärkeren Differenzierung der Ausbildungsangebote im Hochschulbereich führt.
Wir in Bayern haben uns dieser Aufgabe gestellt.
Die Modularisierung von Studiengängen etwa, die Einführung eines Leistungspunktsystems und die konsekutive Anlage von Studiengängen nach der Bachelor-/Master-Struktur stellen wesentliche strategische Instrumente dar, um eine bessere internationale Vergleichbarkeit und eine größere internationale Attraktivität der bayerischen Hochschulen zu gewährleisten.
Die Umstellung auf das zweistufige System von Studienabschlüssen schreitet in wachsender Geschwindigkeit voran.
Die deutschen Hochschulen boten im Sommersemester 2004 bereits 951 Bachelor- und 1.173 Masterstudiengänge an.
Damit machen die neuen Studiengänge insgesamt ca. ein Fünftel des Studienangebots an deutschen Hochschulen aus.
Dieser Anteil hat sich damit binnen Jahresfrist nahezu verdoppelt.
Eine stetig steigende Akzeptanz gegenüber den gestuften Studiengängen ist auch bei den Studierenden und potenziellen Arbeitgebern zu erkennen. Maßgebliche Vertreter der deutschen Großindustrie (z. B. die SIEMENS AG und der Verein Deutscher Ingenieure) haben die Einführung der Bachelor-/Master-Struktur in Deutschland begrüßt und ihr Bestreben geäußert, den künftigen Absolventen auch adäquate Beschäftigungsmöglichkeiten zu eröffnen.
Wir, die CSU sind keine Bildungsblockierer und Bedenkenträger.
Nein, wir sehen die Vorteile des Bologna-Prozesses, hin zu einer Offensive für mehr Wettbewerb und Flexibilisierung im Hochschulbereich.
Aber: Wir müssen dabei auch eines klarstellen: Deutschland hat gerade in den technischen wie juristischen Bereichen mit dem Diplom-Ingenieur und den Staatsexamina Abschlüsse mit Qualität auf höchstem Niveau.
Diese dürfen wir nicht riskieren!

Unsere Forderungen, unsere Ziele
Zu den wichtigsten Aufgaben einer verantwortungsbewussten Hochschul- und Wissenschaftspolitik in der heutigen Zeit gehört die Ausarbeitung von rechtlichen Rahmenbedingungen, die dem epochalen Wandel in der Hochschullandschaft und den damit einhergehenden neuen Herausforderungen Rechnung tragen.
Gerade die zeitlich eng gesteckten Ziele des Bologna-Prozesses erfordern hier eine Ausweitung der Handlungsmöglichkeiten für die einzelnen Hochschulen. Die Änderungen des Hochschulrahmengesetzes seit 1998 haben dagegen zu einer Fesselung der Hochschulen und zur Einschränkung ihrer Handlungsfähigkeit geführt.
Erforderlich ist vielmehr eine verstärkte Eigenverantwortung und Profilierung der Hochschulen.
Es gibt Bereiche des deutschen Hochschulsystems, die – auch im internationalen Vergleich – sehr gut sind.
Die neuen Abschlüsse dürfen daher nicht zu einer Entwertung und Verdrängung des bewährten deutschen Diploms führen, das insbesondere in den Ingenieurwissenschaften auch im Ausland einen hervorragenden Ruf genießt.
Hier muss die Bundesregierung den Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 12. Juni 2003 aufgreifen, in dem festgestellt wurde, dass wichtige Gründe für eine Beibehaltung der bewährten Diplomabschlüsse auch über das Jahr 2010 hinaus sprechen, und sich auf europäischer Ebene für diese Abschlüsse einsetzen.
Die Qualitätsabsicherung der neuen Bachelor- und Masterstudiengänge gehört zu den Schlüsselfragen des Bologna-Prozesses.
Eine breite Akzeptanz dieser Abschlüsse ist in Deutschland nur durch eine überzeugende Überprüfung der Curricula auf nationaler und internationaler Ebene zu erreichen.
Die Aufforderung an das European Network for Quality Assurance in Higher Education (ENQA), ein System von Normen, Verfahren und Richtlinien zur Qualitätssicherung zu entwickeln, stellt hier nur einen ersten Schritt dar.
Bereits auf nationaler Ebene besteht hier ein erheblicher Nachholbedarf, denn von den ca. 1800 Bachelor- und Master-Studiengängen sind erst 338 von den zuständigen Agenturen akkreditiert worden.
Darüber hinaus hat das Aktionsprogramm „Reformstudiengänge“ des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft erhebliche Mängel auch bei bereits akkreditierten Bachelor- und Masterstudiengängen aufgezeigt.
In der Wirtschaft besteht – besonders im Mittelstand – ein hoher Informationsbedarf über die neuen Studiengänge hinsichtlich der Frage, inwieweit die neuen Bachelor- und Master-Absolventen berufsbezogen eingestellt und eingesetzt werden können.
Gerade einer möglichen Fehlbeurteilung des Bachelor-Abschlusses als Abbrecherzertifikat muss offensiv entgegengetreten werden.

Frauenförderung an den Hochschulen sollte ein wichtiger Grundsatz moderner deutscher und europäischer Hochschulpolitik sein.
Zwar nehmen nahezu genau so viele Frauen (49 Prozent) wie Männer ein Studium in der Bundesrepublik auf, aber der Frauenanteil bei höheren akademischen Qualifikationsstufen – von der Promotion (2001: rund 35 Prozent) über die Habilitation (2001:15 Prozent; 2002:19 Prozent) bis zur Professur (2001:8 Prozent) – nimmt signifikant ab.
Hier kann der Bologna-Prozess eine wertvolle Katalysatorfunktion einnehmen. Grundgedanke des Bologna-Prozesses war und ist es, die weltweite Ausstrahlungskraft und die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Hochschulraums zu stärken.
Die Idee des Bologna-Prozesses geht verloren, wenn Länder in den Teilnehmerkreis aufgenommen werden, die bisher völlig andere Strukturen und Curricula an ihren Hochschulen aufweisen. Schon auf struktureller Ebene führt dies zu vielen Unklarheiten, die eine schnelle Einbindung in das europäische Gefüge verhindern und eine Verlangsamung oder sogar Verwässerung des Bologna-Prozesses zur Folge haben
Zusammen mit meiner Kollegin im Bundestag, Marion Seib und anderen, fordere ich deshalb als Europaabgeordnete von der Bundesregierung, das Bologna-Folgetreffen als Startschuss für mehr Wettbewerb und Flexibilisierung im Hochschulbereich zu werten und die seit 1998 eingeführten Reglementierungen im Bereich des Hochschulrahmenrechts wieder zurückzunehmen;
im Hinblick auf den Bologna-Prozess eine Reform des Hochschulrahmengesetzes zur Stärkung der Autonomie der einzelnen Hochschulen und der Wissenschaftsfreiheit sowie zum Abbau des Zentralismus einzuleiten;
die Beibehaltung von bewährten Diplomabschlüssen in Deutschland – neben Bachelor- und Masterabschlüssen – auch auf europäischer Ebene über das Jahr 2010 hinaus zu unterstützen;
Die Qualitätsabsicherung der Bachelor- und Masterabschlüsse auf nationaler und europäischer Ebene voranzubringen;
Die Akzeptanz der zweigliedrigen Studiengänge bei den Arbeitgebern, insbesondere im Mittelstand, zu fördern;
Bei der zukünftigen Fortentwicklung des Bologna-Prozesses einen Schwerpunkt auf die Förderung von Frauen in einer gemeinsamen europäischen Hochschul- und Forschungslandschaft zu legen;
Keiner weiteren Ausweitung des Bologna-Prozesses über die kontinentalen Grenzen Europas hinaus zuzustimmen.