Vortrag beim Rotary-Club zur Arbeitszeitrichtlinie in Aschaffenburg

Sehr geehrte Damen und Herren,
Zunächst möchte ich mich recht herzlich bei Herrn Prof. Dr. Schneider und bei Marco Schmitt dafür bedanken, Ihnen heute unter dem Motto „Europa“ über meine Arbeit im Europäischen Parlament berichten zu können.
Besonders freut es mich, dass Sie mir die Ehre zuteil werden lassen, die rotarische Vortragsreihe zum Thema Europa eröffnen zu dürfen.
Zumal ich über den Rotary Club Aschaffenburg-Schönbusch bisher Beeindruckendes gehört habe.
Herausheben möchte ich hier ausdrücklich das Engagement für die neue
Ich wurde gebeten über das Thema Arbeitszeitrichtlinie und Bereitschaftsdienste zu sprechen.

Ich freue mich sehr, über ein mir sehr am Herzen liegendes Thema berichten zu dürfen, dass insbesondere die hier anwesenden Ärztinnen und Ärzte betrifft – nämlich über die in den Medien oft diskutierte Arbeitszeitrichtlinie.
Lassen Sie mich angesichts der derzeitigen Diskussionen über die Bezahlung von Ärzten zunächst eines voranstellen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass gerade die jungen Assistenzkräfte, aber auch die Ärzteschaft insgesamt für die wichtige Arbeit, die sie Gesellschaft leisten, eine angemessene Entlohnung erhalten müssen.
Und dies heißt: Mehr als heute.
Davon trennen, meine Damen und Herren, möchte ich aber die Diskussionen zur Arbeitszeitregelung auf europäischer Ebene.
Und zu diesem Thema möchte ich Ihnen den aktuellen Stand der Verhandlungen heute erläutern.
Auch bei diesem Thema war es bislang mein Anliegen in erster Linie mit den Betroffenen zu sprechen.
Viele Informationen und Erfahrungen konnte ich einholen, also habe ich in zwei Krankenhäusern in Schweinfurt im Abstand von einem halben Jahr selbst jeweils einen Bereitschaftsdienst mitgemacht habe.
Da erfuhr ich, wie das in der Praxis abläuft mit der Pauschalisierung in den Stufen A bis D.
Ich habe dann zum Beispiel auch gesehen, dass der Anästhesist, den ich begleitet habe, in seinem Bereitschaftsdienst immer wieder aktiv werden musste und auch nicht sofort schlafen konnte, als er einmal kurz Pause hatte.
Und daraus habe ich ein Pauschalisierungsmodell entwickelt, das ich im Gesetzgebungsverfahren einbringe.
Mein Ziel ist es, den bürokratischen Aufwand so gering wie möglich zu halten.
Schließlich sind Sie als Ärzte schon genug mit bürokratischen Aufgaben belastet.

Nachdem die erste Lesung der Arbeitszeitrichtlinie im Europäischen Parlament abgeschlossen ist, möchte ich Sie über den aktuellen Stand und die erreichten Erfolge auch von mir als Mitglied des Beschäftigungs- und Sozialausschusses und der CSU-Gruppe informieren.
Seit den EuGH-Urteilen „Simap“ und „Jäger“, in denen der Europäische Gerichtshof festgestellt hat, dass der komplette Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit anzusehen ist, beherrscht das Thema die Diskussionen in den Medien und insbesondre die Debatte zur Arbeitszeit in Krankenhäusern.
Der EuGH hat am 01.12.05 in einem Urteil nochmals seine bisherigen Aussagen zur Bereitschaftsdienstzeit bestätigt.
Im Dellas-Urteil stellt er fest: „die Nachtwache, die ein Erzieher in einer Einrichtung für Behinderte vorsieht, ist komplett als Arbeitszeit anzusehen“.

Aufgrund der EuGH-Urteile und der unterschiedlichen Gegebenheiten in den Mitgliedsländern sah sich die Europäische Kommission gezwungen, die Arbeitszeitrichtlinie zu überarbeiten und legte am 22. September 2004 diesbezüglich einen Richtlinienentwurf vor.
In der geltenden Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG waren bisher nur die Kategorien „Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“ vorgesehen.
Kernpunkt des Kommissionsvorschlags ist die Einführung einer zusätzlichen dritten Kategorie „Bereitschaftsdienst“, die in eine aktive und inaktive Bereitschaftsdienstzeit unterteilt werden.
Nur die Zeit, in der der Arbeitnehmer während des Bereitschaftsdienstes effektiv seine Tätigkeit ausübt oder seine Aufgaben wahrnimmt, der sogenannte aktive Bereitschaftsdienst, sollen der Arbeitszeit gleichgestellt werden.
Die inaktive Phase im Bereitschaftsdienst soll nicht als Arbeitszeit zählen.
Als Mitglied des Beschäftigungs- und Sozialausschusses im Europäischen Parlament habe ich mich ausführlich und intensiv mit der Arbeitszeitrichtlinie auseinander gesetzt.

Mein Anliegen ist es, die Arbeitsbedingungen der Bereitschaftsdienstleistenden zu verbessern, damit überlange Arbeitszeiten und übermüdete Ärzte in Krankenhäusern der Vergangenheit angehören.
Dabei muss allerdings geklärt werden, wie dem derzeitigen Personalmangel begegnet werden und die unzureichende Kostenabdeckung verhindert werden kann.
Außerdem bin ich bemüht eine Regelung zu schaffen, die möglichst flexibel ist, um der Bandbreite verschiedener Berufe, die im Bereitschaftsdienst arbeiten, Rechnung zu tragen.
Betroffen sind nämlich alle Berufsgruppen, die Bereitschaftsdienste leisten.
In Deutschland entfacht sich die Kontroverse um die Revision, wie bereits erwähnt, zwischen Krankenhäusern und ihrem Ärzte- und Pflegepersonal.
Aber auch die Angestellten der Polizei, staatlich angeordnete Feuerwehren, Werksfeuerwehren oder Rettungs- und Katastrophenschutzdienste und Jugendhilfebereich/SOS-Kinderdörfer sind betroffen.
Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, habe ich mich dafür eingesetzt ein Pauschalisierungsmodell einzuführen, dass auf mitgliedsstaatlicher Ebene umgesetzt werden soll, um für alle betroffen Berufsgruppen eine gerechte Lösung zu finden.
Danach soll die inaktive Zeit innerhalb der Bereitschaftsdienstzeit nicht oder zumindest nicht komplett als Arbeitszeit angesehen und pauschal berechnet werden.
Dies würde bedeuten, dass die aktive Zeit innerhalb der Bereitschaftsdienstzeit pauschal nach der durchschnittlich zu erwartenden Arbeitsauslastung berechnet wird.
Ich habe selbst in Schweinfurt an einer Nachtschicht im Bereitschaftsdienst teilgenommen, um mir die Situation vor Ort anzusehen.
Dort habe ich am eigenen Leib erfahren, wie anstrengend es sein kann, mehrmals in der Nacht aufstehen zu müssen und dann nicht gleich wieder zur Ruhe finden zu können.
In dieser Nacht sind die Grundzüge meines Vorschlags entstanden.
Denn ich möchte – neben der pauschalen Berechnung der aktiven und inaktiven Zeiten – einen Aufschlag auf die tatsächliche aktive Zeit einführen.
Das würde dann so aussehen, dass derjenige der in der Pauschalgruppe 30 % ist, zusätzlich zum Beispiel 10 % also insgesamt 40 % seiner Dienstzeit als aktive Zeit angerechnet bekommt.
Mit diesem Aufschlag sollen die unruhigen Phasen nach dem Patientenkontakt berücksichtigt werden, die dazu führen, dass man nicht sofort wieder einschlafen kann.

Es ist mir ein besonderes Anliegen, eine Regelung zu schaffen, die möglichst flexibel ist, um den verschiedenen Berufen, die im Bereitschaftsdienst arbeiten, Rechnung zu tragen.
So sind Bereitschaftsdienste bei der Feuerwehr in der Regel zu 90 % inaktiv.
Diese dann voll als Arbeitszeit zu berechnen – und damit auch zu bezahlen – ist gegenüber anderen Arbeitnehmern wiederum auch nicht gerecht.
Genauso gibt es größere Krankenhäuser, in denen ein Schichtdienstmodell praktisch leichter umzusetzen ist als in mittleren und kleinen Krankenhäusern.
Diese sind auf Bereitschaftsdienste angewiesen, um überleben zu können.
Und genau diese kleinen Kreiskrankenhäuser sind für die flächendeckende medizinische Versorgung der Bevölkerung wichtig und unverzichtbar.
Ich denke, dass – allen berechtigten Sorgen und Anliegen um den eigenen Beruf – niemand hier im Raum eine Verschlechterung der Patientenversorgung möchte.
Was wir deshalb brauchen, sind Vorgaben auf europäischer Ebene, die den Druck auf die Krankenhäuser erhöhen, dort, wo es möglich ist, von den Bereitschaftsdiensten weg zu kommen.
Andererseits sollten wir dem Gesetzgeber und den Sozialpartnern vor Ort in Deutschland die Möglichkeit für flexible Arbeitszeitmodelle lassen.
Außerdem wäre mit dieser Linie dem Subsidiaritätsgrundsatz Rechnung getragen und den Betroffenen mehr Spielraum bei der Gestaltung ihrer Arbeitszeitmodelle und damit eine Wahlfreiheit eingeräumt.
Dies würde dann auch den Anliegen der Arbeitnehmer in allen Mitgliedstaaten Rechnung tragen.

Die Änderungsanträge, die ich dann anschließend in der ersten Lesung des Parlaments ins Plenum eingebracht habe, erhielten aufgrund der aufgezeigten Argumente in der gesamten EVP-ED-Fraktion eine deutliche Mehrheit.
Die Kommission und der Rat haben, in Anlehnung an meinen Vorschlag, das Pauschalisierungsmodell in leicht veränderter Form übernommen und schlagen eine pauschale Anrechnung der geleisteten Stunden während der inaktiven Bereitschaftsdienstzeit vor.
Danach soll die inaktive Zeit innerhalb der Bereitschaftsdienstzeit nicht oder zumindest nicht komplett als Arbeitszeit angesehen und pauschal berechnet werden.
Die bestehende Arbeitszeitrichtlinie 88/2003/EG sieht auch die Möglichkeit des opt-outs vor.
Das Opt-out ermöglicht es, zeitweise von der durchschnittlichen wöchentlichen Höchstarbeitszeit, das sind 48 Stunden, unter bestimmten Voraussetzungen abzuweichen.
Die Kommission hatte bereits Vorschläge für eine Verschärfung der opt-out-Klausel vorgelegt.
Demnach sollte die Möglichkeit eines Opt-out tarifvertraglich festgelegt bzw. für einen Sektor oder Betriebe zwischen den Sozialpartnern vereinbart werden können.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer hätten auch bilaterale Vereinbarungen treffen können, die eine begrenzte Ausweitung der wöchentlichen Arbeitszeit vorsahen.
Am 01. Juni 2006 hat der Europäischen Rats für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz unter österreichischer Präsidentschaft versucht, zu der derzeit noch offenen Frage der opt-out Möglichkeit einen Kompromiss auszuloten.
Der Rat hatte eine opt-out-Möglichkeit nur unter sehr strengen Voraussetzungen vorgeschlagen.
Eine Abweichung vom Grundsatz der durchschnittlichen wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden sollte z.B. nur möglich sein, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer übereinstimmen, dass der Bezugszeitraum von 12 Monaten nicht die notwendige Flexibilität gewährleistet.
Der Rat hat vorgeschlagen, dass eine Abweichung von der 48 Stundenwoche gerechtfertigt werden könnte, wenn eine besondere Situation gegeben ist wie z.B. Fachkräftemangel, nicht vorhersehbare Änderungen im Geschäftsablauf, Merkmale von Sektoren, die Vorausplanungen schwierig machen, vermehrter Arbeitsbedarf aufgrund eines besonderen Projektes oder persönliche Gründe, familiäre Gründe oder das Sammeln von Berufserfahrung und Fachkenntnissen.
Die Mitgliedstaaten könnten regeln, dass eine Zustimmung, die während der ersten vier Wochen des Arbeitsverhältnisses gegeben wird, null und nichtig ist und/oder festlegen, dass jeder Arbeitnehmer in den ersten drei Monaten nach Abschluss der Vereinbarung berechtigt ist, ohne Nachteil seine Zustimmung eine solche Arbeit zu leisten, durch schriftliche Mitteilung an seinen Arbeitgeber mit unmittelbarer Wirkung rückgängig zu machen.
Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt der Einschränkungen für ein opt-out-Möglichkeit, die der Rat vorgeschlagen hatte.

Trotz langer, intensiver Verhandlungen ist es den Ratsteilnehmern nicht gelungen eine Einigung zur Arbeitszeitrichtlinie herbeizuführen.
In der strittigen Frage der Beibehaltung oder des völligen Auslaufens des opt-out fand letztlich keinerlei Annäherung zwischen den Befürwortern und den Gegnern statt.
Für die Beibehaltung des Opt-out haben sich explizit folgende Mitgliedstaaten ausgesprochen: Großbritannien, Deutschland, Slowakei, Niederlande, Slowenien, Tschechien, Litauen, Lettland, Malta und Estland.
Für ein Auslaufen des Opt-out plädierten, angeführt von Frankreich auch Dänemark, Schweden, Finnland, Zypern, Griechenland, Portugal, Belgien, Luxemburg und Spanien.
Beide Gruppen – sowohl die Befürworter als auch die Gegner des Opt out – besitzen die erforderliche Sperrminorität, um den Vorschlag auf Ratsebene zu blockieren.
Es ist zu bedauern, dass es im Rat erneut nicht möglich war, eine politische Einigung über den Richtlinienvorschlag zur Revision der Arbeitszeitrichtlinie zu erzielen.
Die Regelungen zur Abweichung von der wöchentlichen Höchstarbeitszeit – opt out – hätten eine solide und dauerhafte Grundlage erhalten.
Dies hätte im Krankenhausbereich eine flexible Arbeitszeitgestaltung ermöglicht, ohne natürlich die Marathondienste für gut zu heißen.
Diese sind auch nach heutigem Recht sowieso nicht erlaubt!
Das Problem liegt hier – wie in einer Reihe von anderen Bereichen auch – in der Umsetzung und der Kontrolle der bestehenden Regelungen.
Daran werden neue Gesetze aber leider nichts ändern!
Niemand möchte Arbeitszeitmodelle, die ein geregeltes Familienleben geradezu unmöglich machen.
Das wäre gesundheits- und sozialpolitisch völlig verfehlt.
Es ist sehr zu hoffen, dass nun unter finischer Ratspärsidentschaft ein Ergebnis erzielt werden kann.

Wie ist die Situation in Deutschland?
Der Ärztestreik an Universitätskliniken der vergangenen Monate hat gezeigt, dass Handlungsbedarf besteht.
Ich bin froh darüber, dass eine Regelung für die Unikliniken gefunden werden konnte.
Es ist an der Zeit auch für die kommunalen Kliniken eine interessengerechte Lösung zu finden, denn die Übergangszeit für das deutsche Arbeitszeitgesetzt läuft nun nach einer einjährigen Verlängerung Ende des Jahres aus.
Gerade in letzter Zeit habe ich wieder viel Zuspruch für meine Arbeit von Ärzten erhalten.
Es ist sehr erfreulich, dass der Gesichtspunkt der Gefährdung der Patientensicherheit durch die Arbeitsschutzvorgaben auch durch die Ärzte verstärkt gegenüber dem EP formuliert wird.
Viele Briefe erreichen mich derzeit, die durch eine Einschränkung der Bereitschaftsdienste und die Einführung neuer Arbeitszeitmodelle eine Beschränkung der Weiterbildung befürchten.
Es wird duch die Mehrheit der in der Weiterbildung zum Facharzt befindlichen Ärzte eine Verlängerung ihrer Weiterbildungszeit befürchtet.
Die bisherige Arbeitsorganisation gab den in der Weiterbildung befindlichen Ärzten ausreichend Möglichkeit, die in den Weiterbildungsordnungen vorgeschriebenen Weiterbildungsinhalte zu absolvieren.
Eine Verlängerung der Weiterbildungszeiten ist angesichts des drohenden Ärztemangels in etlichen Fachgebieten ein falsches Signal.
Prof. Dr. Reulen, Präsident der Sektion Neurochirurgie der Europäischen Fachärtzevereinigung hat sich mit diesem Anliegen auch an die Bundeskanzlerin gewendet, um auf die drohenden Schwierigkeiten hinzuweisen.
Ich bin im Anschluss an meinen Vortrag sehr gespannt, Ihre Beiträge zu diesem interessanten Thema zu erfahren.
Die gewonnnen Erkenntnisse werden sehr wichtig für meine Arbeit in Brüssel und für die Einbringung von Änderungsanträgen für die zweite Lesung im Parlament zur Arbeitszeitrichtlinie sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sehen, dass es eine Reihe von interessanten europäischen Themen gibt, die einen unmittelbaren oder wenigstens mittelbaren Bezug zum Gesundheits- oder Medizinbereich haben.
Darüber hinaus könnte ich natürlich noch einiges zu allgemeinen europapolitischen Themen wie dem Türkeibeitritt, dem Verfassungsvertrag, den neuen Förderprogrammen, der Klimaschutzpolitik, der Dienstleistungsrichtlinie oder der Verbraucherschutzpolitik sagen.
Jedes dieser Themen hätte allerdings verdient, dass ihm ein ganzer Abend gewidmet würde.
Ich möchte aber Ihre Geduld und Zeit an diesem heutigen Abend, den wir der Gesundheits- und Arbeitszeitpolitik widmen wollten, nicht überstrapazieren.
Bei Interesse antworte ich jedoch auf Ihre konkreten Fragen auch zu diesen Themenbereichen.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen einige neue und interessante Aspekte zu den aktuellen Diskussionen auf europäischer Ebene zu der zukünftigen Gestaltung der Arbeitszeit in Europa näher bringen konnte.
Vielen Dank.